Mitte September – auch Bayern befindet sich ab jetzt wieder im Schulbetrieb. Nachdem im letzten Schuljahr durch ChatGPT eine Art „KI-Revolution“ stattfand, liegt aus meiner Sicht heuer – nach einigen Tests und Ausprobieren verschiedener KI-Anwendungen – der Fokus auf dem zielgerichteten Nutzen von KI-Tools im Unterricht. Zumindest ist dies eines meiner persönlichen Ziele ;)
Als Deutschlehrkraft an einer staatlichen Realschule bin ich – bei allem Innovationswillen – vor allem aber auch dafür verantwortlich, dass meine Klassen die bayerische Abschlussprüfung erfolgreich bestehen. Das ist auch gut so und schließt progressives Unterrichten ja in keinem Fall aus. Als ich von „Fiete“ erfuhr, war ich demnach sehr interessiert daran, das Tool zu testen, da es für meine Zwecke auf dem Papier zunächst einmal optimal einsetzbar scheint.
„Fiete“ verspricht, dass durch die Vorgabe von eigenen Bewertungskriterien die Schülerinnen und Schüler Live-Feedback und Modifikationsvorschläge erhalten. Mithilfe von zwei Abgabemöglichkeiten soll somit der Schreibprozess in den Fokus gerückt werden und „Fiete“ als eine Art „virtueller Schreibtutor“ agieren. Bestenfalls entsteht so neben der Selbststeuerung für die Userinnen und User auch Freiraum für eine andere Rolle der Lehrkraft. Laufen Feedback-Prozesse automatisiert ab, bleibt mehr Zeit für Einzelgespräche und fokussierte Unterstützung. Dadurch dass die Lehrkraft die Abgaben der Klassen einsehen kann, wird somit auch transparent, welche Übungsphasen noch nötig sind oder welche Aspekte schon beherrscht wurden.
Soweit die Theorie. Im Folgenden habe ich „Fiete“ einmal anhand von drei realistischen Einsatzszenarien getestet und mir die Qualität des Feedbacks angesehen. Dabei habe ich mich auf das „Materialgestützte Argumentieren“ und auf Teilaspekte des „Erschließens eines literarischen und pragmatischen Textes“ fokussiert. Alle drei Themen-/Aufgabenstellungen sind Bestandteile der „neuen“ bayerischen Abschlussprüfung an der Realschule und werden zentral im Sommer 2024 abgeprüft.
Test 1: Materialgestütztes Argumentieren
Wenn man mit „Fiete“ sog. „Aufgaben“ erstellen möchte, dann ist dies im Prinzip relativeinfach. Zunächst legt man die Klassenstufe fest, wählt eine „Vorlage“ und fügt dann ggf. das Material ein, worauf sich „Fiete“ beziehen soll. Da bei unserer bayerischen Aufgabenstellung auch Tabellen, Grafiken und Karikatur für das Argumentieren bereitgestellt werden, nutzte ich für meinen 1. Versuch einen eigenen „Mustertext“ zum Thema „Stadtflucht in Deutschland – Warum ziehen viele Menschen aufs Land? Welche Probleme kann das Landleben mit sich bringen?“. Auf eine Materialzugabe verzichtete ich bewusst. Zudem übernahm ich das fertige Kriterien-Template, das „Fiete“ anbietet.
Das Ergebnis war schon beim 1. Durchlauf bemerkenswert. Zunächst leitete „Fiete“ sein Feedback wie folgt ein:
„Sie haben eine gründliche und gut recherchierte Erörterung zum Thema 'Stadtflucht' erstellt. Ihre Argumente sind gut strukturiert und unterstützt durch relevante Beispiele und Quellen. Verbesserungspotential liegt in der Darstellung und Entkräftung von Gegenargumenten. Konzentrieren Sie sich auf die Verbesserung der Darstellung und Entkräftung von Gegenargumenten. Versuchen Sie auch, Ihre Argumente von den schwächeren zu den stärkeren besser zu ordnen.“
Daran anschließend wurden zu den fünf Kriterien weitere motivierende, aber auch praktische Hinweise gegeben. Diese waren aber so verpackt, dass eine weitere Beschäftigung mit dem Text sich lohnt, da nicht konkrete Umformulierungen, sondern eher Handlungsempfehlungen gegeben werden. Und das auch durchaus für Schülerinnen und Schüler verständlich. Da ich an meiner „Musterlösung“ nicht weiterarbeiten wollte, probierte ich demnach gleich anschließend ein 2. Szenario aus.
Test 2: Erschließen eines literarischen Textes – Sprachanalyse
Gerade das recht monotone Ausformulieren der Sprachanalyse bereitet Schülerinnen und Schülern oftmals einige Probleme. Neben dem Erkennen und Anwenden der Stilmittel soll auch ein sprachlich abwechslungsreicher Text entstehen, der zudem mögliche Wirkungen diskutiert. Für den „Fiete-Check“ erstellte ich eine „Leere Vorlage“, der ich das „Eisenbahngleichnis“ von Erich Kästner als Material zugab. Zudem definierte ich eigene Kriterien, auf die „Fiete“ meine Textvorlage hin gegenchecken sollte. Mein eingereichte Lösung lautete wie folgt:
Das Eisenbahngleichnis von Erich Kästner verwendet verschiedene Stilmittel, um seine Botschaft von der Unsicherheit und Unbekanntheit des Lebens auszudrücken. Eines dieser Stilmittel ist der Parallelismus, der in Sätzen wie "Wir sitzen alle im gleichen Zug / und reisen quer durch die Zeit" verwendet wird. Durch die Verwendung der gleichen Struktur wird eine klare und einfache Sprache geschaffen, die das Gedicht leicht verständlich und eingängig macht. Ein weiteres Stilmittel ist das Enjambement, wie es in Sätzen wie "Ein Nachbar schläft, ein andrer klagt, / ein dritter redet viel" zu sehen ist. Durch das Fortführen eines Satzes über mehrere Zeilen hinweg ohne Pause wird ein fließender Lesefluss geschaffen und der Rhythmus des Gedichts unterstützt. Wortwiederholung wie in "Wir fahren alle im gleichen Zug" wird verwendet, um die Idee der Gleichheit und Gemeinsamkeit zu betonen und die Botschaft des Gedichts zu verstärken. Personifikation, wie sie in "Der Zug, der durch die Jahre jagt" zu sehen ist, ermöglicht es dem Leser, sich besser in die Imagination des Gedichts einzufügen und die Idee besser zu verstehen. Rhetorische Fragen wie "Wo werden wir wohl morgen sein?" regen zum Nachdenken an und schaffen eine sentimentale Stimmung. Alliteration wie "Ein feister Herr sitzt stolz / im roten Plüsch und atmet schwer" lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf bestimmte Worte und unterstützt den Rhythmus des Gedichts. Ein Symbol wie "Die Toten steigen aus" ermöglicht es dem Leser, die Botschaft des Todes und des Verlustes zu verstehen. Insgesamt schafft das Eisenbahngleichnis von Erich Kästner durch die Verwendung dieser Stilmittel eine tiefgründige und nachdenkliche Botschaft über das Leben.
Der Clou: „Fiete“ zeigte sich prinzipiell mit meiner Lösung einverstanden, gab aber zu bedenken, ...
- Du könntest jedoch noch mehr Beispiele geben und die Wirkung dieser Stilmittel genauer beschreiben.“
- Du könntest jedoch versuchen, deine Sprache etwas elaborierter zu gestalten, indem du komplexere Satzstrukturen verwendest und deine Ideen auf eine anspruchsvollere Weise verknüpfst.
- Du könntest jedoch versuchen, abwechslungsreichere und komplexere Satzstrukturen zu verwenden, um deine Analyse anspruchsvoller zu gestalten.
Was „Fiete“ nicht wusste: Der Text wurde komplett von ChatGPT (3.5) erstellt. Es war spannend zu sehen, wie „Fiete“ selbst hier sehr konkrete Verbesserungsvorschläge benennen konnte und die durchaus vorhandenen Schwächen des Textes veranschaulichte. Es wurden wirklich die genannten Bewertungskriterien für die Analyse herangezogen, so dass die jeweilige Lehrkraft individuelle Aufgaben erstellen kann. Diese lassen sich bei „Fiete“ via Link mit der jeweiligen Klasse problemlos teilen lässt. Da ich auch hier auf eine 2. Abgabe verzichtete, möchte ich noch ein 3. Beispiel präsentieren, bei dem diese Funktion mit getestet wurde.
Test 3: Erschließen eines pragmatischen Textes – Inhaltsangabe
Ebenso eine eher ungeliebte Aufgabe bei der Texterschließung ist die Inhaltszusammenfassung / Inhaltsangabe, die aber im Prinzip bei jeder Aufgabenstellung gefordert wird. Meist wird bei pragmatischen Texten eine „Strukturierung“ verlangt, die auf Sinnesabschnitte und konkreten Zeilenangaben basiert. Für den „Fiete“-Test nutzte ich einen Kommentar zum vor einiger Zeit recht beliebten „Wordle“-Trend. In einem ersten Schritt baute ich bewusst einige formale Fehler ein, die „Fiete“ neben den anderen Kriterien wiederum recht stimmig erkannte.
„Sie haben die Hauptpunkte des Textes gut erfasst und zusammengefasst. Allerdings gibt es einige Rechtschreib- und Grammatikfehler, die verbessert werden könnten. Konzentrieren Sie sich auf die Verbesserung Ihrer Rechtschreibung und Grammatik und versuchen Sie, Ihre Zusammenfassung präziser und abwechslungsreicher zu gestalten.“
Nach meiner Überarbeitung zeigte sich „Fiete“ dann äußerst angetan von meiner Leistung, lobte meine Fortschritte und gab ein motivierendes End-Feedback mit einer weiteren Konkretisierung für Verbesserungsmöglichkeiten.
„Sie haben Ihre Arbeit deutlich verbessert. Die Hauptpunkte des Textes sind gut zusammengefasst und die Rechtschreib- und Grammatikfehler sind minimiert. Konzentrieren Sie sich auf die Verbesserung Ihrer Zusammenfassung, um sie abwechslungsreicher und fesselnder zu gestalten. Ihre Rechtschreibung und Grammatik sind bereits sehr gut.“
Als Fazit bleibt zu sagen, dass die Handhabung von „Fiete“ recht einfach ist und die Qualität des Feedbacks bewusst so konzipiert wurde, dass es sich auch lohnt, selbst über seine eingereichte Lösung nachzudenken. „Fiete“ liefert keine Lösung frei Haus, sondern ist ein echter Tutor, der sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schüler bei ihren jeweiligen Aufgaben unterstützten kann. Für meine 10. Klasse werde ich „Fiete“ immer wieder einsetzen, so dass wir gemeinsam das Ziel „Abschlussprüfung 2024 im Fach Deutsch“ sicher erreichen werden. Davon bin ich überzeugt.