Vom Wollen und Können – lernförderliches Feedback auf Texte von Schüler*innen geben

Von am 28.06.24
Inhalt

Ausgangsüberlegungen

In dem Editorial zum Band „Textfeedback“ von 2023 beschreiben die Autor:innen Ursula Esterl und Stephan Schicker ein Dilemma:

„Aus diesem Grund wird insbesondere die schriftliche Kommentierung von Schüler:innenarbeiten auch als ‚Kerngeschäft‘ von Deutschlehrer:innen wahrgenommen und erhält viel Aufmerksamkeit. Gleichzeitig wird der Prozess des Feedback-Gebens und der Kommentierung von Schüler:innentexten von vielen Lehrenden mit viel Mühe und hohem Zeitaufwand verbunden und oft auch als wenig befriedigend erfahren, da die Rückmeldungen und Korrekturen nicht immer zu den erwünschten Verbesserungen der Leistungen der Schüler:innen beitragen.“ (Esterl/Schicker 2023, 5).

Feedback, hier als Rückmeldung auf schriftliche Leistungen (Texte) von Schüler:innen verstanden, ist also einerseits wünschenswert (geradezu verpflichtend), andererseits schwer umsetzbar, denn es wird als mühevoll, zeitaufwändig und wenig (unmittelbar) zielführend eingeschätzt.

Joscha Falck beschreibt die Situation im Interview in diesem Blog (Haverkamp, März 2023) ähnlich, nennt aber einen weiteren Aspekt.

„Zunächst möchte ich sagen, dass Feedback auf jeden Fall im Unterricht vorkommt und zwar vermutlich bei allen Lehrkräften und auch bei allen Schüler*innen. Nur handelt sich eben oft um unsystematische Bemerkungen, kurze Korrekturen und Hinweise oder (nur) um summatives Feedback, also Rückmeldungen, die erst am Ende eines Lernprozesses gegeben werden und dann natürlich nicht mehr viel nützen.“ (Haverkamp 2023)

Feedback findet also statt, scheint aber nicht unbedingt geeignet zu sein, da es nicht systematisch erfolgt. Falck liefert zugleich eine erste Erklärung für diesen Zustand:

„Dass Feedback nicht systematischer eingesetzt wird, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass lernförderliches Feedback Zeit, Planung, einen didaktischen Ort und Überlegungen braucht, was aus dem Feedback werden soll. Es macht also Aufwand und der Nutzen ist nicht unbedingt sofort zu erkennen. Insofern bietet der volle Lehrplan natürlich eine gute Ausrede.“ (Haverkamp 2023)

Falck argumentiert, dass es neben der fehlenden Zeit, die er als Ausrede tituliert, vor allem an entsprechenden Vor-Überlegungen mangelt, wie das Feedback im Unterricht implementiert sein soll – Hattie (2023) beschreibt dies als intentionales Lehrerhandeln, das grundlegend für erfolgreiches Handeln sei. Hier ist Feedback Bestandteil eines zusammenhängenden Lehrkonzeptes aus Zielsetzungen, Lernstrategien, Erfolgskriterien und der Rückmeldung darauf. Lehrkräfte, so lassen sich diese Ausgangsüberlegungen zusammenfassen, wollen also (lernförderliches) Feedback geben, scheitern aber aus verschiedenen Gründen daran.

In dem kurzen Beitrag möchte ich an dieser Stelle ansetzen. Die Diskussion um Feedback ist – wie auch die verschiedenen Beiträge hier im Blog zeigen – ja durchaus umfangreich. Das liegt auch daran, dass Feedback sehr unterschiedliche Aspekte in den Blick nehmen kann, das betrifft die Frage:

  • wer Feedback gibt (Lehrkräfte, Peers oder Lernende selbst),
  • wozu Feedback gegeben wird (z.B. Texte, mündliche Beiträge, künstlerische, musikalische, sportliche Leistungen), aber auch die Frage, ob es um kognitive, meta-kognitive oder emotionale (z.B. motivationale) Aspekte geht,
  • wie Feedback gegeben wird (mündlich, schriftlich; analog, digital; multimodal),
  • wann Feedback gegeben wird (während des Prozesses, am Ende des Prozesses) und schließlich
  • worauf (Bewältigung der Aufgabe, Lernstrategien, Einstellung, Verhalten).

Alle von mir anschließenden Überlegungen nehmen hier eine bestimmte Festlegung vor:

  • Es geht um das Feedback von Lehrkräften,
  • auf Texte von Lernenden,
  • das schriftlich erfolgt und
  • sowohl formativ als auch summativ im Hinblick
  • auf die Bewältigung der Aufgabe (den geschriebenen Text) formuliert wird und die Steigerung von Schreibkompetenz zum Ziel hat.

Die Überlegungen beziehen sich also ausschließlich auf die Perspektive der Feedbackgebenden (hier: den Lehrkräften) und die Frage, ob und wie Feedback dazu dient, Schreibkompetenz (im Fach Deutsch) zu fördern.

Was wir über lernförderliches Feedback auf Texte wissen

Texte in Bezug auf Aufgabenstellung und Textsorte angemessen, adressatengerecht, informativ und zugleich lexikalisch, syntaktisch und grammatisch korrekt zu formulieren, gilt als anspruchsvolle Aufgabe in der Schule (vgl. auch Becker-Mrotzek/Schindler 2007), die viel Übungszeit, profilierte Schreibaufgaben (vgl. Bachmann/Becker-Mrotzek 2010) und Feedback bedarf. Entsprechend der Komplexität der Kompetenz kann es beim Feedbackgeben auch um einzelne sprachliche Teilkompetenzen gehen und/oder um die Frage, wie Schreibende diesen komplexen Prozess orchestrieren. In ihrem Forschungsbericht untersuchen Graham/Perin (2007) elf Faktoren im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Entwicklung von Schreibkompetenz. Feedback von Lehrkräften hat dabei eine vergleichsweise hohe Effektstärke (0.80). Übertroffen wird es nur von der expliziten Vermittlung von Schreibstrategien (1.20) und dem Zusammenfassen von (anderen) Texten (0.82). Allerdings muss das Feedback qualitativ und quantitativ anregend sein, um solche Effekte auszulösen.

Textfeedback kann auf einfache oder elaborierte Art und Weise geschehen (vgl. Narciss 2006). Einfaches Feedback bezieht sich in der Regel auf die Korrektheit von Lösungen, elaboriertes Feedback nimmt Bezug auf die Angemessenheit der Lösung im Hinblick auf die Schreibaufgabe (z.B. das Textmuster), gibt weiterführende Handlungsanweisungen und nimmt Bezug auf die Metakognition der Lernenden. Während der erste Feedbacktyp vor allem eine informierende Funktion hat, kann der zweite Feedbacktyp auch eine instruierende und erklärende Funktion übernehmen. Einfaches, informierendes Feedback kann sich zwar auf der Textoberfläche unmittelbar als Revision zeigen (Korrektur), es scheint aber weder für eine erhöhte Textqualität noch für eine Verbesserung der Schreibkompetenz ursächlich. Elaboriertes Feedback ist für die Lernenden reichhaltiger. Feedback als Hinweis dazu, wie Lernende ihre Fehler selbstständig korrigieren können, scheint dabei besonders lernwirksam.

Damit Schüler*innen Schreibkompetenz entwickeln, bedarf es entsprechender Schreibanlässe und genügend Schreibzeit im Unterricht.

Beides scheint, so zeigen beispielsweise Decker/Hensel (2019) für den Schreibunterricht in der gymnasialen Oberstufe, zu wenig er Fall zu sein. Wenn im Unterricht geschrieben wird, dann handelt es sich bei „dem Notieren von Stichworten, dem Ausfüllen von Arbeitsblättern oder um Tafelabschriebe“ (Decker/Hensel 2019, 55) eher um wenig komplexe, vor allem aber nicht um eigenständige Textproduktion. Wenn es aber außer in Leistungsüberprüfungen keine Texte gibt, kann es auch kein entsprechendes Textfeedback geben bzw. dieses ist lediglich summativ, also auf den Abschluss des Schreibprozesses bezogen. Die Quantität des Feedbacks ist also unmittelbar von der Quantität der Textproduktion abhängig. Quantität des Textfeedbacks bedeutet aber auch ohne großen Zeitverzug Rückmeldung zu geben. Wenn Textfeedback (auch) dazu genutzt werden soll, im Schreibprozess zu wirken, von den Lernenden also bei der konkreten Aufgabe umgesetzt zu werden, dann ist es sinnvollerweise zügig umzusetzen. Dies hat auch Auswirkungen auf die Lehrenden. Diese können das Feedback unmittelbar aufgreifen und für ihren Unterricht entsprechend nutzen.

Wie sich lernförderliches Feedback auf Texte umsetzen lässt

Schreibkompetenz so zeigen die verschiedenen Modellierungen anschaulich (siehe im Überblick Feilke 2014) ist ein komplexes Konstrukt und umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Teilfähigkeiten. So wie nicht jede Schreibaufgabe alle Facetten von Schreibkompetenz gleichermaßen fördert, so kann auch Textfeedback nicht auf alle Aspekte eines Lernertextes eingehen. Das überfordert Feedbackgebende wie Feedbacknehmende. Damit aber Feedback gelingt, müssen insbesondere Letztere das Feedback verstehen und annehmen können.

Um vom Wollen zum Können zu kommen, braucht es zunächst zwei Vorbedingungen:

  • Erstens: Es werden regelmäßig (kleinere, kürzere) Texte verfasst, die verschiedene Facetten von Schreibkompetenz einüben,
  • Zweitens: Die Lehrenden sind bereit, regelmäßig Feedback auf diese Texte zu geben und sich dabei auf die einzuübenden Facetten von Schreibkompetenz zu beziehen.
Beim Textfeedback kann es dann nicht darum gehen, möglichst viele Hinweise zum Text zu geben, sondern ausgewählt nur im Hinblick auf das jeweils fokussierte Lernziel Rückmeldung zu formulieren.

Wenn es beispielsweise darum geht, dass die Schüler*innen einen argumentierenden Text schreiben sollen, dann steht ausschließlich das Argumentieren im Fokus (das betrifft inhaltliche Argumente wie sprachliche Formen diese auszudrücken). Verstöße der Rechtschreibung und Grammatik, das Schriftbild o.a. werden dann weder korrigiert noch im Feedback erwähnt.

Ergänzend bietet es sich an – und das stärkt die Selbstregulation und die Bereitschaft das Feedback umzusetzen – dass die Schüler*innen selbst einen (!) Aspekt benennen, auf den sie gern von der Lehrkraft Rückmeldung hätten.

Ein solches Feedback lässt sich durch KI- basierte Tools zudem gut unterstützen, wie die Arbeit mit Fiete.ai anschaulich zeigt. Dann kann eine veränderte Feedbackkultur auch zu einer erhöhten Schreibpraxis führen und das allein wird die Schreibkompetenz der Schüler*innen verbessern.

Autorin

Kirsten Schindler ist Professorin für Deutschdidaktik mit dem Schwerpunkt Sprachdidaktik an der Bergischen Universität Wuppertal. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Textproduktionsforschung (u.a. Schreiben in kreativ-literarischen, akademischen und beruflichen Kontexten) zunehmend auch unter Fragen der Digitalisierung. Sie ist Co-Leiterin des Virtuellen Kompetenzzentrums Schreiben lehren und lernen mit KI (VK:KIWA) und wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Schreibwissenschaft (ISW).   

Zitierte Literatur

  • Bachmann, Thomas / Becker-Mrotzek, Michael (2010): Schreibaufgaben situieren und profilieren. In: Pohl, Thorsten/ Steinhoff, Torsten (Hrsg.): Textformen als Lernformen. [KoeBes - Kölner Beiträge zur Schreibforschung]. Duisburg: Gilles & Francke, 191-210.
  • Becker-Mrotzek, Michael / Schindler, Kirsten (2007): Schreibkompetenz modellieren. In: Dies. (Hrsg.): Texte schreiben. Duisburg: Gilles & Francke, 7-26.
  • Decker, Lena / Hensel, Sonja (2019): Zum Stellenwert des Schreibens im Fachunterricht der gymnasialen Oberstufe – empirische Befunde und schreibdidaktische Konsequenzen. In: Decker, Lena/ Schindler, Kirsten (Hrsg.): Von (Erst- und Zweit-)Spracherwerb bis zu (ein- und mehrsprachigen) Textkompetenzen. Duisburg: Gilles & Francke, 49-62.
  • Esterl, Ursula / Schicker, Stephan (2023): Formatives Feedback als Unterstützung für Lehrer:innen und Schüler:innen. In: Dies. (Hrsg.): Textfeedback. ide (47). Innsbruck: StudienVerlag.
  • Feilke, Helmuth (2014): Begriff und Bedingungen literaler Kompetenz. In: Feilke, Helmuth/ Pohl, Thorsten (Hrsg.): Schriftlicher Sprachgebrauch – Texte verfassen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 33-53
  • Graham, Steve/Perin, Dolores (2007): Writing Next: Effective Strategies to Improve Writing of Adolescents in Middle and High Schools. A Report to Carnegie Corporation of New York. New York: Carnegie Corporation.
  • Hattie, John (2023): Visible Learning: The Sequel. New York: Routledge.
  • Haverkamp, Hendrik (2024): Lernförderliches Feedback im Unterricht. Interview mit Joscha Falck.
  • Narciss, Susanne (2006): Informatives tutorielles Feedback. Entwicklungs- und Evaluationsprinzipien auf der Basis instruktionspsychologischer Erkenntnisse. Münster: Waxmann.