Am 10. Oktober 2024 hat die Bildungsministerkonferenz (Bildungs-MK) eine Handlungsempfehlung zum Umgang mit künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen beschlossen. Das Papier umfasst fünf Themenbereiche, die auf den unterschiedlichen Vorarbeiten aus den Ländern aufbauen und als Orientierungsrahmen zu verstehen sind. Sie tragen die Überschriften:
- Einfluss und Auswirkungen von KI auf Lernen und Didaktik
- Veränderung der Prüfungskultur durch KI
- Professionalisierung von Lehrkräften
- Regulierung
- Zugangsfragen zu generativen KI-Anwendungen im Kontext von Chancengerechtigkeit
Die Veröffentlichung hat sowohl in der Presse als auch in den sozialen Netzwerken zahlreiche Reaktionen hervorgerufen. Hervorgehoben wurden unter anderem die deutlichen Formulierungen zur Prüfungskultur, aber auch die Anmerkung, dass ein Verzicht auf KI in der Grundschule erörterungsbedürftig sei. Um die Diskussion zu bündeln, haben wir verschiedene Akteur*innen des bildungsbezogenen KI-Diskurses gebeten, ihren Blick auf das Papier darzustellen. Wir wollten wissen, was ihnen besonders aufgefallen ist, welche Punkte besonders weitreichend sind, was Kopfzerbrechen bereitet und/oder welche Chancen bzw. Herausforderungen gesehen werden.
Wir bedanken uns bei allen Kolleginnen und Kollegen, die unserem Aufruf gefolgt sind! Hendrik Haverkamp und Joscha Falck
Prof:in Doris Weßels: “Paradigmenwechsel für die schulische Bildung”
Trotz der stellenweise geäußerten Kritik an der KMK-Handlungsempfehlung „Zum Umgang mit KI in schulischen Bildungsprozessen“ sind aus meiner Sicht zwei Aspekte von besonderer Bedeutung und positiv hervorzuheben, weil sie dringend notwendige Veränderungen im Bereich der Prüfungsgestaltung sowie der Lehrer*innenbildung thematisieren und hoffentlich auch forcieren werden.
Im Themenbereich 2 wird betont, dass Prüfungsformate, die die eigenständige Leistung von Schülerinnen und Schülern nicht eindeutig nachweisen können, entweder abgeschafft oder grundlegend überarbeitet werden sollen. Diese Formulierung ist mutig und derartig klar formuliert, dass sie die Bildungs-Community nach meiner Beobachtung überrascht hat – mehrheitlich positiv. Besonders hervorgehoben wird die stärkere Fokussierung auf Prozessbewertung und Mehrdimensionalität, sowohl in schriftlicher, mündlicher, praktischer als auch digitaler Form. Bei der Prozessbewertung ist die Akzentverschiebung, weg von der Fokussierung auf das Endprodukt hin zu einer prozessorientierten Bewertung sehr zu begrüßen, trotz aller Herausforderungen bei der Umsetzung in die Lehrpraxis.
Im Themenbereich 3 wird der Fokus auf die kontinuierliche Weiterentwicklung zur Professionalisierung von Lehrkräften gelegt. Diese sollen nicht nur zur Anpassung an neue Technologien ermutigt werden, sondern es müssen ihnen auch die notwendigen Ressourcen und Freiräume bereitgestellt werden. Angesichts der hohen KI-Innovationsdynamik benötigen wir Lehrkräfte, die sich selbst als Lernende verstehen und aktiv an der Reflexion und kontinuierlichen Professionalisierung ihrer eigenen Rolle arbeiten.
Diese beiden Abschnitte spiegeln ein New-Thinking an entscheidenden Stellschrauben und damit einen Paradigmenwechsel für die schulische Bildung wider: weg von starren Strukturen und hin zu einer flexiblen, prozessorientierten und reflexiven Methodik und Haltung, sowohl bei den Lernenden als auch bei den Lehrenden.
Abschließend noch ein (zugegebenermaßen etwas zugespitzter) Hinweis zum Titel der Handlungsempfehlung, die sich an die „Bildungsverwaltung“ wendet. Mich stimmt dieser Begriff nachdenklich, weil er leider im Titel und damit unglücklicherweise wie auf einem Etikett ein antiquiertes Selbstverständnis von Bildung - in hierarchischen Strukturen von Verwaltungsorganisationen - widerspiegelt. Müsste die deutsche Bildungslandschaft nicht anstelle einer „Verwaltung“ die „Gestaltung“ anstreben und die Bildungsverwaltung in eine Bildungsgestaltung transformiert werden, die mit neuen Organisationsformen und Steuerungsmechanismen ausgestattet ist, um mehr Agilität und eine höhere Anpassungsgeschwindigkeit im Zeitalter von GenAI zu ermöglichen?
Zur Autorin: Doris Weßels ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel (Schwerpunkte Projektmanagement und Natural Language Processing) und Co-Leiterin des Virtuellen Kompetenzzentrums Schreiben Lehren und Lernen mit KI (VK:KIWA).
Fabian Schön: „Bildung der Zukunft: KI im Unterricht als Schlüssel zum Erfolg“
Die Handlungsempfehlung der KMK ist der erste wichtige Schritt in die richtige Richtung. Wichtige Aspekte wie personalisiertes Lernen und die Fortbildung der Lehrer sind essenziell für die Integration von KI im Schulalltag. Die Bundesschülerkonferenz fordert jedoch zusätzlich Expertengruppen zur Qualitätssicherung der KI-Entwicklung im Bildungsbereich, um sicherzustellen, dass die Entwicklung kontinuierlich den Bildungszielen entspricht. Außerdem fordern wir die Schaffung einer Informationsplattform, die als zentrale Anlaufstelle für Schüler*innen gilt und umfassend über KI informiert. Schüler*innen in Deutschland sollten die Möglichkeit haben, Künstliche Intelligenz nicht nur zu verstehen, sondern sie aktiv im Unterricht zu nutzen. Auf diese Weise sichern wir nicht nur die Bildungsqualität, sondern auch die digitale Zukunft unserer Schüler*innen.
Zum Autor: Fabian Schön ist Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz
Dr. Anika Limburg: “Wichtiges Signal als Reaktion auf die große Unsicherheit vieler Akteure im Bildungssystem”
Ich halte die Handlungsempfehlungen der KMK für ein wichtiges Signal als Reaktion auf die große Unsicherheit vieler Akteure im Bildungssystem, welche den Mut zur Exploration hemmt. Obwohl ich daher gern Vieles zu den Handlungsempfehlungen sagen würde, konzentriere ich mich mit drei Gedanken vor allem auf den Themenbereich 3, der sich meinem eigenen Verantwortungsbereich widmet, der Professionalisierung von Lehrkräften.
- Die KMK-Empfehlung betont die Bedeutung der Integration von KI in alle Phasen der Lehrkräftebildung. Das ist wichtig! Diese Integration darf nicht auf KI als Schwertpunktthema begrenzt sein, das punktuell (in einzelnen Seminaren oder Fortbildungen) Berücksichtigung findet. KI wirkt sich – wie in der Handlungsempfehlung betont – weitreichend auf fachliche, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Inhalte aus und ist damit ein Querschnittsthema, das nahezu alle Bereiche der Lehrkräftebildung betrifft. Bedingung für die Integration KI-bezogener Themen in die Lehrkräftebildung ist jedoch zunächst die interne Weiterbildung aller Akteure der Lehrkräftebildung, die jedoch – dem Gedanken eines Reallabors entsprechend – mit der verantwortungsbewussten Exploration in Aus-, Fort- und Weiterbildung verknüpft sein sollte. Systematischer Konzepte zur Integration von KI in die drei Phasen auf der Grundlage des Erfahrungsaustauschs sollten länderübergreifend kollaborativ entwickelt werden und ihren Niederschlag in Qualitätskriterien für die Aus-, Fort- und Weiterbildung finden, die der hohen Dynamik technologischer Entwicklung Rechnung tragen.
- Die Empfehlung betont zudem die Notwendigkeit der Aktualisierung von Kompetenzanforderungen an Lehrkräfte. Besondere Bedeutung sollte m.E. dabei einem adäquaten Rollenbild zukommen. Die Rolle der Lehrperson hat sich bereits durch den Wandel von der Wissens- zur Informationsgesellschaft fundamental geändert – wenn auch in der Praxis nicht so weitreichend, wie es wünschenswert wäre. Angesichts der Möglichkeiten personalisierten Lernens durch KI kommt einer Lehrkraft potenziell eine völlig veränderte Aufgabe zu: Anspruchsvolles soziales Lernen zu begleiten, bei dem die Wissensaneignung kollaborativ oder individuell erfolgen kann, angeregt und begleitet durch die Lehrkraft als Modell für einen reflektierten Umgang mit Informationen und Medien. Berücksichtigt werden sollte zudem das Kompetenzprofil der Schulleitung, die als bedeutsamer change agent stärker beachtet hätte werden können. Ein Klima der Kollaboration an Schulen, initiiert durch die Schulleitung, ist essentiell für eine Schulentwicklung, in der das beschriebene Rollenverständnis gelebt werden kann.
- Weiterhin betont die Handlungsempfehlung die Bedeutung lebenslangen Lernens angesichts von KI. Selbst eine Fortbildungsverpflichtung von 30 Stunden ist weit davon entfernt, einen sinnvollen Rahmen dafür zu bieten. Die Dynamik technologischer Entwicklung zu sondieren und ihre Implikationen für Schule zu reflektieren, ist ein neuer, zusätzlicher und fortlaufender Fortbildungsbedarf. Dieser Bedarf kann schon aus Kapazitätsgründen in den Landesinstituten nicht ausschließlich durch synchrone Fortbildungen gedeckt werden. Stattdessen sollte informelles, selbstgesteuertes Lernen gefördert und ergänzend ein niedrigschwelliges Angebot hochwertiger, fortwährend aktualisierter Selbstlernkurse entwickelt werden. Diese sollten als Microcrendentials angelegt werden und zu Microdegrees führen, die dem jeweiligen Profil der Lehrkraft entsprechen. Auch ein solches Angebot bereitzustellen und zu pflegen erfordert die länder- und phasenübergreifende Zusammenarbeit.
Zur Autorin: Dr. Anika Limburg ist Direktorin des Bildungscampus Saarland und verantwortet in dieser Position die zweite und dritte Phase der staatlichen Lehrkräftebildung im Saarland. Sie ist zudem Gründungsmitglied des Virtuellen Kompetenzzentrums Schreiben Lehren und Lernen mit KI (VK:KIWA) und beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit den Implikationen generativer KI auf Bildung.K
Prof:in Lin-Klitzing: KI “bedarf klarer Leitlinien”
Eine Technologie von diesem Umfang bedarf klarer Leitlinien und einer sorgfältigen Rahmensetzung, ganz besonders im schulischen Kontext. Ihren Potenzialen stehen wir kritisch-konstruktiv gegenüber.
Den Empfehlungen der Bildungs-MK mangelt es aus unserer Sicht an einer eindeutigen Zuweisung der Verantwortlichkeiten. Es ist Aufgabe des Dienstherrn, die notwendigen rechtlichen, organisatorischen, strukturellen und technischen Rahmenbedingungen für den gewinnbringenden Einsatz von KI zu schaffen und zugleich den Schutz der Persönlichkeitsrechte sicherzustellen. Diese Verpflichtungen dürfen keinesfalls auf die ohnehin stark belasteten Lehrkräfte oder die Schulen abgewälzt werden. Das sehen wir in der „Handlungsempfehlung für die Bildungsverwaltung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen“ nicht.
Zur Autorin: Prof:in Dr. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende der Fachkommission Schule, Bildung und Wissenschaft des dbb beamtenbund und tarifunion und Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes.
Joscha Falck: “Was kommt im Unterricht an?”
Die am 10.10.2024 veröffentlichte Handlungsempfehlung der KMK zum Umgang mit künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen ist aus meiner Sicht ein erfreulich mutiges und hoffentlich auch wegweisendes Papier. Die Tatsache, dass sich der Umgang mit Information und Wissen durch KI fundamental ändert und Schulen darauf reagieren müssen, ist erkannt und formuliert. Mit Blick auf die Prüfungskultur sind die angesprochenen Punkte weitreichend, folgerichtig und konsequent. Ebenso deutlich ist die Betonung von Chancengerechtigkeit, die nur gelingen kann, wenn der Digital Divide auf unterschiedlichen Ebenen bearbeitet wird.
Aus meiner Perspektive als Lehrer, Schulentwickler und Fortbildner beschäftigen mich die vielen dicken Bretter, die jetzt zu bohren sind. Die Forderungen nach KI-Einsatz im Unterricht und der damit verbundenen Professionalisierung sind schließlich mit einem immensen Lern- und Fortbildungsaufwand für alle Beteiligten verbunden. Diese drängenden Aufgaben treffen auf ein ohnehin schon überlastetes System, was zu verschiedenen paradoxen Effekten führt (vgl. hier). Nachdenklich stimmt mich zudem, wie viel der formulierten Veränderungsnotwendigkeit übrig bleibt, wenn das Papier die zahlreichen Ebenen der Bildungsverwaltung durchlaufen hat. Entscheidend wird letztlich sein, was im Unterricht ankommt, nicht was in Absichtserklärungen und Konzeptpapieren steht. Dazu braucht es auf allen Ebenen mutige Entscheider:innen, die vorangehen, Spielräume ausloten und es ermöglichen, KI in die Fläche der Schullandschaft zu bringen. Die KMK-Empfehlung trägt diesen Appell in sich – packen wir es also an.
Zum Autor: Joscha Falck ist Lehrer, Schulentwickler, Fortbildner und Autor. Kontakt: www.joschafalck.de
Hendrik Haverkamp: Wandel oder weiter so - das ist hier die Frage
Die KMK Handlungsempfehlung hat das Potenzial, KI den Weg in die Schule und in die Prüfungskultur zu ebnen. Neben vielem Wegweisendem sehe ich jedoch auch die Gefahr, dass sich die Geschichte und Missverständnisse der schulischen Digitalisierung wiederholen und bei aller Innovation sich sogar Rückwärtsgewandtes durchsetzen wird. Dies ist teilweise sogar im Papier selbst angelegt - ein Beispiel: Auf der einen Seite wird eine neue Prüfungskultur unter den Bedingungen von KI vehement eingefordert. Zurecht wird dieses von vielen gelobt. Auf der anderen Seite werden die Möglichkeiten der KI-Korrekturunterstützung von den Autor:innen des Papiers angeführt. Die gängige Korrekturpraxis wird von vielen Lehrkräften als zeitraubend und problematisch angesehen. Wird diese Arbeit zukünftig etwas effektiver von einer KI übernommen, fällt eine ganz wichtige Triebfeder für Veränderung in Bezug auf die Prüfungskultur weg. In diesem Fall hätte KI sogar das Potenzial, eine veraltete Prüfungskultur zu zementieren.
Es wird abzuwarten bleiben, ob der lern- und prüfungskulturelle Samen, der in dem KMK Papier angelegt ist, tatsächlich aufgehen wird.
Zum Autor: Hendrik Haverkamp ist Lehrer am Evangelisch Stiftischen Gymnasium, Mitglied im Institut für zeitgemäße Prüfungskultur, Co-Leiter des Virtuellen Kompetenzzentrums Schreiben Lehren und Lernen mit KI (VK:KIWA) und Co-Gründer von Fiete.ai.
Hauke Pölert: “Jetzt sind die Länder gefordert – wir Schulen stehen bereit”
Die von der KMK beschlossene "Handlungsempfehlung zum Umgang mit KI..." sehe ich sowohl als Koordinator für die Oberstufe und das Abitur als auch als Fortbildner als einen überraschend deutlichen Orientierungsrahmen für Schul- und Unterrichtsentwicklung.
Doch wer auf den Digitalisierungsprozess der letzten 5-10 Jahre zurückblickt, wird sofort die Frage stellen: Was davon wird am Ende umgesetzt? Wer soll die vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen? Werden diese Maßnahmen im Bürokratie- und Zuständigkeitsdickicht überhaupt umgesetzt werden können?
Momentan stehen Schulen, die neue Wege gehen wollen und echte Schulentwicklung wagen, sofort in einem Spannungs- und Konfliktfeld aus Vorschriften, zunehmender Verantwortungsdiffusion und überbordender Bürokratisierung. Das macht es insbesondere für Schulleitungen, die mit und für ihre Schulgemeinschaft neue Wege gehen und ein innovationsfreundliches Klima in Zeiten zahlreicher Herausforderungen schaffen wollen, schwierig.
Vgl. ausführlichen Blogbeitrag zu Schulentwicklung in KI-Zeiten
Ich sehe die Handlungsempfehlung daher vor allem als ein Dokument, das uns im Entwicklungsdiskurs mit Blick auf die „3I“ unmittelbar unterstützt und Punkte konkretisiert, die bislang (gerade mit Blick auf Abschlussprüfungen, insbesondere das Abitur) ganz bewusst ausgespart wurden. Zugleich durchziehen die „4A“ (Prof. Weßels) nun auch ganz offensichtlich die KMK-Strategie, was ich für sehr sinnvoll halte:
1. Akzeptieren: Einfluss und Auswirkungen von KI auf Lernen und Didaktik (Themenbereich 1).
Die Handlungsempfehlung hebt hervor, dass KI vielfältige Chancen für die Individualisierung von Lernprozessen bietet. Intelligente Tutorielle Systeme und adaptive Lernumgebungen könnten Schülerinnen und Schülern personalisierte Lernunterstützung bieten. Das Lehrkräften hier eine zentrale Rolle zugewiesen wird – und nicht etwa Einsparpotentiale durch KI-Begleitung zumindest erwähnt werden – ist ein guter und wichtiger Punkt.
2. Aktiv werden: Veränderung der Prüfungskultur durch KI (Themenbereich 2).
Das Dokument betont die Notwendigkeit, Prüfungsformate an die neuen Möglichkeiten durch KI anzupassen. Zukünftige Prüfungen sollen die Kompetenz zur Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI berücksichtigen und eine stärker prozessorientierte Bewertung einführen. KI könne Lehrkräfte bei der Korrektur und Bewertung unterstützen, allerdings bliebe die endgültige Leistungsbewertung eine hoheitliche Aufgabe der Lehrkräfte, um Transparenz und Fairness zu wahren. Insbesondere von der Formulierung „Prüfungsformate, die juristisch nicht einwandfrei der in der Aufgabe geforderten eigenständigen Leistung einer Schülerin bzw. eines Schülers zugerechnet werden können, werden abgeschafft oder grundlegend weiterentwickelt“ erhoffe ich mir einen Impuls für echte Entwicklung und keinen Rückschritt hin zu zentral überwachten schriftlichen Klausuren.
3. Aufklären: Professionalisierung von Lehrkräften (Themenbereich 3).
Es wird gefordert, dass Lehrkräfte gezielt auf den Umgang mit KI vorbereitet werden sollen. Dies solle in allen Phasen der Lehrkräfteausbildung geschehen und technische, didaktische sowie ethische Aspekte umfassen. Die Handlungsempfehlungen legen fest, dass Lehrkräfte nicht nur KI anwenden, sondern auch deren technische Grundlagen verstehen und deren Potenziale sowie Risiken bewerten können müssen.
Erster Eindruck: Vieles liest sich vorerst wie eine Absichtserklärung - spannend wird die Umsetzung in den Ländern, wenn es um Prüfungskultur, Freiräume für die Schulen, Fortbildungsinitiativen - und deren Implementierung - geht. Aber gerade Punkt 2 zur Prüfungskultur bietet viel Potential für echte Schulentwicklung und lässt hoffen:
- Wird nun in Zeiten von KI dieses heiße Eisen, das gerade mit Blick auf zentrale Abschlussprüfungen wie das Abitur viele Weiterentwicklungen hindert, von der KMK angegangen?
- Werden wir künftig die Bereiche Prozessorientierung und Mehrdimensionalität stärken und von der Produkt- zur Prozessbewertung kommen können?
- Wird der „Überarbeitungsprozess bestehender Leistungsüberprüfungsformate […] von den Ländern zeitnah umgesetzt“ (S. 7)?
Das wäre zu hoffen, denn Prüfungsformate können als zentraler Stellhebel echte Unterrichtsentwicklung sowohl fördern als auch ausbremsen. Und diesen neuralgischen Punkt nimmt die Handlungsempfehlung sowohl umfassend als auch konkret in den Blick. Jetzt sind die Länder gefordert – wir Schulen stehen bereit.
Zum Autor: Hauke Pölert ist Lehrer für Spanisch und Geschichte und Koordinator für die Sekundarstufe II und das Abitur am Theodor-Heuss-Gymnasium Göttingen. Seine Erfahrungen im digitalen Wandel teilt er auf seinem Blog „Unterrichten Digital“ und per YouTube sowie als Referent und Fortbildner zu Schul- und Unterrichtsentwicklung.
Regina Schulz: Kommentar zur „Handlungsempfehlung für die Bildungsverwaltung* zum Umgang mit künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen“ (2024)
Diese Handlungsempfehlung ist zukunftweisend und deutlich. Für Bildungsakteur:innen - wie mich, die versuchen, das Bildungssystem von innen heraus zu verändern, um möglichst viele Bildungsakteur:innen - besonders Lernende - an diesem notwendigen Transformationsprozess zu beteiligen;
- bestehende Freiräume nutzen, um innovative Lernansätze auszuprobieren, diese wissenschaftlich begleiten möchten;
- “KI” als Werkzeug verstehen, das selbstreguliertes Lernen von mündigen, kritisch-reflektierenden Lernenden stärken kann;
- kognitiv-aktivierende Fragestellungen, formatives, prozessorientiertes Feedback in ihrem Unterricht erproben;
für diese Bildungsakteur:innen bietet diese Handlungsempfehlung eine deutliche, klare und gewinnbringende Argumentationsgrundlage für die Notwendigkeit von Veränderungen des Lernens und Prüfens in Schule, vor dem Hintergrund von ‚KI‘.
Diese Handlungsempfehlung setzt notwendige Schwerpunkte in einer komplexen Diskussion über „Lernen mit, durch, über, trotz, ohne ‚KI’“; namentlich diese 5 Bereiche: Lernen und Didaktik, Prüfen, Lehrkräfteprofessionalisierung, Regulierung und Chancengerechtigkeit. Wird diese Handlungsempfehlung in der Bildungsverwaltung konsequent umgesetzt, bedeutet dies, dass sich in Deutschland Lernen und Prüfen in Schule grundlegend ändern werden.
Wichtiges, zu Grunde liegendes Bildungsziel dieser Handlungsempfehlung ist eine „mündige, altersangemessene und versierte Nutzung von KI“ (S.2). Es heißt des Weiteren: „Ziel muss es sein, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, die neuesten digitalen Entwicklungen kritisch-reflektiert anwenden zu können, um digital mündig zu werden“ (S.3). Diese Grundlagen unterstütze ich.
Jedoch: für Bildungsakteur:innen - auch wie mich -, die eine …
- aktive
- mündige
- gemeinwohlorientierte
- partizipative Mitgestaltung von ‚KI‘ als Bildungsziel anstreben;
für die scheint diese Handlungsempfehlung noch nicht weit genug zu gehen.
Deshalb rate ich, diese Handlungsempfehlung auf der Grundlage der „Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Schule“ aus dem Juni 2024 zu lesen. In deren Zentrum stehen Kompetenzen für eine positive, globale und lokale Zukunftsgestaltung. Sie unterstreicht die Notwendigkeit, dass Lernende verantwortungsvolle Entscheidungen treffen und eigene Handlungsspielräume erkennen, damit wir alle uns aktiv an Aushandlungs- und Gestaltungsprozessen einer gemeinwohlorientierten, nachhaltigen Zukunft beteiligen können (vgl. S.6).
Sehen wir also beide Handlungsempfehlungen gemeinsam, bleiben Lernende nicht Rezipient:innen von (kommerziellen) ‚KI‘-Anwendungen; sondern: die aktive, mündige, gemeinwohlorientierte, partizipative Mitgestaltung von ‚KI‘ wird zu einem komplexen Bildungsziel aller. Um eine gemeinwohlorientierte, von ‚KI‘ geprägte Zukunft mitgestalten zu können, benötigen wir u.a. Agency, Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung, Datenkompetenzen und anwendungsorientierte, gesellschaftlich-kulturelle und technische ‚KI’-Kompetenzen (vgl. S.5); eine komplexe, umfangreiche, langfristige Aufgabe! Ich freue mich, Teil dieses positiven Transformationsprozesses zu sein!
Disclaimer: *Ausgewiesener Adressat dieser Handlungsempfehlung ist die Bildungsverwaltung, also die Steuerung der Schulentwicklung. Gehen wir - wie auch in dieser Handlungsempfehlung explizit dargestellt - von einer partizipativen Schul- + Unterrichtsentwicklung aus, können + sollten alle Bildungsakteur:innen, Schüler:innen, Lehrer:innen, Fortbildner:innen und universitäre Mitarbeitende, Eltern Schlüsse für die eigene Bildungsarbeit ziehen + somit diese Handlungsempfehlung kommentieren. Ich tue dies hiermit als Lehrerin, Fortbildnerin und Fellow des Digital and Data Literacy Labs der Uni Hamburg.
Zur Autorin: Regina Schulz ist Lehrerin an einem Hamburger Gymnasium. Sie arbeitet als Lehrer:innenfortbildnerin im Bereich Fremdsprachen mit den Schwerpunkten Digitalität und BNE; zusätzlich ist sie Fellow des Digital and Data Literacy in Teaching Lab (DDitLab) der Universität Hamburg. Sie veröffentlicht ihre Unterrichtsmaterialien als OER im digitallearninglab.de.
Manuel Flick: “Weitreichende Veränderungen für Schule und Unterricht werden folgen, sofern die entsprechenden Empfehlungen auch konsequent in die Praxis überführt werden”
Die am 10. Oktober veröffentlichte Handlungsempfehlung der KMK zum Umgang mit KI spricht die richtigen Punkte an und ist dabei mit wenigen Ausnahmen erfreulich konkret.
Aus Sicht des Fortbildners unterschreibe ich, dass in diesem Zuge bei der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften „neben den anwendungsbezogenen und informatischen Kompetenzen stets medienpädagogische, medienethische sowie medienkritische Gesichtspunkte“ (Themenbereich 2, Seite 8) eine Rolle spielen müssen. In der Praxis geht es oft jedoch noch darum, ein grundlegendes Verständnis für KI und entsprechende Tools zu entwickeln. Den Ausbau und die Weiterentwicklung der Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten begrüße ich deshalb, damit wir diese Ebene schnellstmöglich verlassen und uns den größeren Aufgaben widmen können.
Neben der lernförderlichen Integration von KI in den Unterricht (Lernen mit und über KI) steht hier für mich vorwiegend die Entwicklung und Implementierung neuer Prüfungsformate im Vordergrund. Weitreichende Veränderungen für Schule und Unterricht werden folgen, sofern die entsprechenden Empfehlungen auch konsequent in die Praxis überführt werden.
In diesem Zuge ist die Bereitstellung einer rechtskonformen KI-Infrastruktur sehr hilfreich. Dies ist bei Weitem noch nicht an allen Schulen geschehen und wäre auch im Sinne der angesprochenen Chancengerechtigkeit und Schaffung eines rechtssicheren Rahmens ein wichtiger Schritt.
Mit Blick auf den berufsbildenden Bereich drängt sich mir als Letztes die beschriebene Überarbeitung von Unterrichtsinhalten und Lehrplänen auf. In bestimmten Ausbildungsberufen, etwa meiner E-Commerce- oder Marketing-Klassen, sind die Auswirkungen auf die Berufs- und Arbeitswelt durch KI schon jetzt so weitreichend, dass hier dringender Bedarf besteht.
Entscheidend ist für mich nun, wie die Handlungsempfehlungen konkret ausgestaltet werden und ob Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese auf individueller Unterrichtsebene gelebt werden können.
Zum Autor: Manuel Flick ist Lehrkraft im berufsbildenden Bereich aus Berlin. Als Fortbildner, Referent und Blogger widmet er sich schwerpunktmäßig dem Einsatz und der Integration von Künstlicher Intelligenz im Schul- und Unterrichtskontext. Weitere Infos und Kontakt: manuelflick.de
Prof:in Uta Hauck-Thum: “Vergrößerung der Passung zwischen den heterogenen Lernvoraussetzungen der Kinder und den schulischen Anforderungen als Basis individuellen Lernfortschritts”
Mein besonderer Fokus als Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik richtet sich bei der Analyse der Handlungsempfehlungen der KMK zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen vor allem auf den Hinweis, dass ein weitgehender Verzicht in der Grundschule und in den ersten Jahren der Sekundarstufe erörterungsbedürftig sei. Diese Offenheit halte ich einerseits für richtig. Andererseits möchte ich darauf hinweisen, dass daraus resultierende Entwicklungen nur vor dem Hintergrund einer veränderten Lern- und Prüfungskultur ihre Potentiale im Sinne der Kinder entfalten können. Entsprechende Veränderungen haben sich in der Breite jedoch längst nicht etabliert Die Vermittlung und das einheitliche Abprüfen von Wissen zu festgelegten Zeitpunkten bestimmen nach wie vor den Schulalltag von Kindern in der Grundschule. Ohne Zweifel spielt der Erwerb der Basiskompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen in der Grundschule auch angesichts technologischer Weiterentwicklungen eine zentrale Rolle. Gleichermaßen gilt es Kinder jedoch von Anfang an beim Erwerb übergreifender zukunftsrelevanter Kompetenzen zu unterstützen. Dazu zählen gelingend zu kommunizieren, kreative Lösungen zu finden, kritisch zu denken, gemeinsam Probleme zu lösen und kompetent zu handeln (KMK 2021).
Künstliche Intelligenz sollte demnach nicht nur genutzt werden, um für Kinder individuelle Übungsaufgaben in gewohnten Formaten zu generieren oder Lehrkräften die Gestaltung von Unterrichtsabläufen und Prüfungsformaten in tradierter Form abzunehmen. Vielmehr sollte darauf geachtet werden, dass Kinder in gemeinschaftlichen und relevanten Settings zum sprachlichen Austausch, zum kollaborativen Schreiben und zur nachhaltigen Beteiligung an Projektarbeit angeregt und in ihrem Lernverlauf begleitet werden. Beim Einsatz von LLMs in der Grundschule geht es demnach mit Nichten darum, Kindern das Schreiben abzunehmen. Vielmehr können damit passende Anreize für kreative Schreibaufgaben gestellt und Kinder durch gezieltes Feedback in ihrem Schreibprozess begleitet werden. LLMs können Schülerinnen und Schülern beispielsweise beim Spracherwerb unterstützen, indem sie Dialoge in einfacher Sprache führen, Fragen beantworten und sie zur Beteiligung anregen. Zudem können sie dazu genutzt werden, um Kindern beim Üben von Lesefähigkeiten im Tandem oder der Verbesserung ihres Sprachverständnisses zu helfen. Kinder können LLMs für einfache Wissensfragen nutzen, wenn sie zusätzliche Erklärungen brauchen. Bei Projekten können LLMs als Informationsquelle dienen, um Kindern bei der Recherche zu helfen oder Ideen zu entwickeln. Für Schüler mit speziellen Lernbedürfnissen können LLMs genutzt werden, um Lerninhalte individueller und angepasster zu erklären. Ziel sollte dabei die Vergrößerung der Passung zwischen den heterogenen Lernvoraussetzungen der Kinder und den schulischen Anforderungen als Basis individuellen Lernfortschritts sein. Genauso wichtig ist es jedoch, dass alle Kinder von Anfang Partizipation und Teilhabe an gemeinschaftlichen Prozessen in einer von wertschätzender Beziehungsarbeit geprägten Schulgemeinschaft erleben - mit, ohne und trotzt Künstlicher Intelligenz.
Zur Autorin: Uta Hauck-Thum ist seit 2018 Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Schulentwicklung in der Kultur der Digitalität sowie Künstliche Intelligenz in der Schule
Florian Nuxoll: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Ich kann mich nicht ausreichend in die Autoren hineinversetzen, die für die Kultusministerkonferenz (KMK) Handlungsempfehlungen verfassen müssen, die dann von allen Mitgliedern abgesegnet werden sollen. Auch bin ich nicht tief genug in der Kultusbürokratie verwurzelt, um zu wissen, ob in diesem Fall jedes einzelne Kultus- oder Bildungsministerium zustimmen musste.
Was ich weiß… die Herangehensweisen der einzelnen Bundesländer und die Ausstattung mit Soft- und Hardware sind extrem unterschiedlich. Einige Länder haben beispielsweise Landeslizenzen für Fobizz erworben, in anderen ist dessen Nutzung verboten. In meinem Bundesland Baden-Württemberg habe ich unterschiedliche Signale vernommen: In Fortbildungen von Regierungspräsidien hieß es, Fobizz sei nutzbar, während in Schulungen unseres Landesinstituts das genaue Gegenteil behauptet wurde. "Es ist kompliziert", um die Beziehungsstatusoption von Facebook zu zitieren – falls es die überhaupt noch gibt; ich war schon lange nicht mehr dort.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich verstehe, dass es schwierig gewesen sein muss, diese Handlungsempfehlungen zu verfassen. Gut, dass es sie nun gibt. Jetzt geht es darum zu sehen, was daraus wird und wo noch nachgesteuert werden muss.
1. Ist der Subtext hier etwa: Wir in Deutschland sind wirklich innovativ im Vergleich zu den anderen?
„Während in anderen europäischen und außereuropäischen Staaten auch Nutzungsverbote im schulischen Kontext als Reaktion auf die Veröffentlichung von ChatGPT ins Kalkül gezogen wurden, haben die Länder der Bundesrepublik Deutschland ihren Schulen von Anfang an eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit KI in Bildungsprozessen ermöglicht.“
Dieser Abschnitt erweckt bei mir den Eindruck, als seien wir hierzulande besonders offen gegenüber ChatGPT gewesen, während viele andere Länder es nicht waren. Ja, in den ersten Wochen und Monaten wurde im Ausland tatsächlich überlegt, ob man ChatGPT verbieten solle – aber auch in Deutschland wurde diese Diskussion im öffentlichen Diskurs geführt. Als ich in Brüssel war, hatte ich eher das Gefühl, dass andere Länder wesentlich souveräner mit generativer KI umgingen. Die Datenschutzkeule, die bei uns oft Diskussionen gar nicht erst aufkommen lässt, wird außerhalb Deutschlands – sagen wir – pragmatischer geschwungen oder auch mal beiseitegelegt.
Den konstruktiven Teil von "konstruktiv-kritisch" sehe ich in Deutschland übrigens oft nicht. Kolleginnen und Kollegen bemängeln unter anderem, dass sie keine wirkliche Unterstützung bei der Frage zum Umgang mit KI in Seminar- oder Facharbeiten erhalten haben. Gibt es Bundesländer, die die Bewertung dieser Arbeiten bereits angepasst haben? Wäre nötig, denn in meinem Seminarkurs habe ich es mit den Schülerinnen und Schülern geschafft, in 18 Minuten von "Keine Ahnung, worüber ich schreiben soll" zu "Hier ist meine Facharbeit ... ohne Quellen" zu gelangen. Wie bewerte ich also den schriftlichen Teil? Ich fände es gut, wenn man hier die Möglichkeit hätte, auch einen vermeintlich sehr guten Text abzuwerten, wenn der Schüler oder die Schülerin im Kolloquium gar keine Ahnung hat.
Also, ich denke nicht, dass die KMK sich im Vergleich zu anderen Ländern auf die Schulter klopfen kann.
2. In Zukunft nur noch Prüfungen ohne digitale Hilfsmittel?
„Prüfungsformate, die juristisch nicht einwandfrei der in der Aufgabe geforderten eigenständigen Leistung einer Schülerin bzw. eines Schülers zugerechnet werden können, werden abgeschafft oder grundlegend weiterentwickelt.“
Ich bin kein Jurist, und vielleicht gibt es da Nuancen, die ich nicht erkenne. Wann ist etwas juristisch eigenständig? Wie stark darf der Grad der Zusammenarbeit mit KI sein? Müssten Hausarbeiten dann nicht ganz wegfallen? Früher konnten Eltern auch schon helfen und die Arbeit komplett schreiben, aber jetzt ist mit KI das Problem so groß geworden, dass nicht mehr nur Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern diese Hilfe erhalten können. Präsentationen dürften dann eigentlich auch nicht mehr zu Hause vorbereitet werden, sondern nur noch in der Schule kurz vor der Prüfung.
3. Bitte die Verantwortung nicht auf die einzelnen Schulen oder Lehrkräfte verlagern
„Die Länder vereinbaren, Schulen und Schulträgern Hinweise zur rechtskonformen Nutzung von KI-Anwendungen an die Hand zu geben...“
Natürlich müssen wir rechtskonform arbeiten, aber die Formulierung, dass "Hinweise gegeben werden", lässt bei mir die Alarmglocken schrillen. Hinweise könnten bedeuten: Sie müssen auf Punkt 1, 2, 3 und 4 achten. Bei Verstoß gilt... Wenn man möchte, dass die breite Lehrerschaft sich mit der Thematik beschäftigt, dann darf die Last der juristischen Einschätzung nicht auf uns abgewälzt werden. Erst recht nicht, wenn die einzelnen Bundesländer es nicht schaffen, eine einheitliche Meinung zur Legalität von Plattformen wie Fobizz zu haben.
4. Yippie, bekommen wir Lehrkräfte jetzt Zeit?
„Lehrkräfte zu kontinuierlichem Lernen und zur Anpassung an neue Technologien zu ermutigen heißt auch, ihnen die notwendigen Ressourcen und Freiräume zur Verfügung zu stellen.“
Diesen Satz kann ich voll und ganz unterschreiben. Ich freue mich auf die zusätzlichen Ressourcen. Sich mit diesem sehr weiten Thema zu beschäftigen und Kompetenzen rund um KI zu entwickeln, ist anspruchsvoll und erfordert viel, viel Zeit. Ich habe beispielsweise bei einer Studie mitgearbeitet und auch die Lehrerfortbildung dazu mitgestaltet, bei der es darum ging, ein intelligentes Tutorielles System vorzustellen, den Einfluss eines solchen auf das Lernen zu vermitteln und die Nutzung im Unterricht zu begleiten. Wir hatten dafür drei Präsenzveranstaltungen (zwei ganztägige, eine halbtägige) und zwei Online-Veranstaltungen (jeweils zwei Stunden) mit denselben Lehrkräften. So viel Zeit braucht man meiner Meinung nach mindestens, um etwas nachhaltig zu vermitteln. Wir hatten den Fokus nur auf ein Fach, eine Jahrgangsstufe und einen Aspekt von KI. Ich freue mich also, dass die KMK uns die notwendigen Ressourcen bereitstellen will. Hoffentlich sind wir uns nicht uneinig darüber, was "notwendig" bedeutet.
Ich könnte noch viele weitere Punkte ansprechen, höre hier aber jetzt auf und beende meinen Beitrag mit einem Meme-Zitat: "Schauen wir mal, was wird!" – "...was wird!"
Obwohl… anstatt nur abzuwarten, sollten wir uns aktiv einmischen, Dinge ausprobieren und einfach machen, auch wenn die rechtliche Bewertung noch aussteht. Dabei sollten wir aber unseren gesunden Menschenverstand einsetzen und zum Beispiel nicht unsere Notenlisten mit Namen und Adressen hochladen und von der KI sortieren lassen.
Zum Autor: Florian Nuxoll ist Lehrer an der Geschwister-Scholl-Schule und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen.
Björn Nölte: “Welche Wirksamkeit haben KMK-Papiere?”
Wie ist die Handlungsempfehlung der KMK zum Umgang mit KI in schulischen Bildungsprozessen aus Sicht von Schulaufsicht und Schulträgern zu bewerten? Treffend richtet sie sich an „die Bildungsverwaltung“, denn dort werden die Rahmenbedingungen geschaffen.
Das Papier fordert dazu auf, „Potenziale [zu] heben, gleichzeitig aber auch die Risiken [zu] minimieren.“ (S. 9) Es ist an vielen Stellen erfreulich konkret und fokussiert mit den Bereichen „Lernen und Didaktik“, „Prüfungskultur“, „Professionalisierung von Lehrkräften“ und „Regulierung“ die richtigen Schwerpunkte. Dass es zwingend nötig ist, die Prüfungskultur zu innovieren, wird durch das Papier erneut betont. Angesichts der KI-Entwicklungen erscheint das aktueller denn je. Es bleibt zu hoffen, dass die Bildungsverwaltungen diese Herausforderung nicht nur als Anpassung an neue, rechtssichere Prüfungsformate sehen – oder gar lediglich als Absicherung gegen KI-Missbrauch – sondern dass sie eine neue Kultur des Umgangs mit Leistung anstreben: lernförderlich, differenziert, dialogisch-prozessorientiert, personalisiert, kollaborativ und reflektiert. Für die Umsetzung ist entscheidend, dass Schulaufsicht und Schulträger an einem Strang ziehen und mit einer gemeinsamen Haltung vorgehen. Die Handlungsempfehlung geht zudem auf die Gefahr der digitalen Spaltung ein und macht konkrete Vorschläge, um Chancengerechtigkeit zu fördern. Zu Recht verpflichtet die KMK die Bildungsverwaltung dazu, dieses Thema als zentrale Leitlinie der Regulierung zu verankern.
Welche Wirksamkeit haben KMK-Papiere? Die ergänzende Empfehlung zur Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ von 2021 formulierte bereits einige relevante Punkte, die jetzt auch auf das Thema KI angewendet werden können. Zum Beispiel wurde zur Prüfungskultur schon damals empfohlen, Reflexionsleistungen auf sinnvolle Art zu bewerten und auch kollaborative Leistungen dringend miteinzubeziehen. Welche Wirksamkeit hatte diese Empfehlung? In der Breite ist sie noch nicht angekommen, auch wenn es in vielen Bundesländern derzeit Bestrebungen und erste Erfolge gibt, dies auch gesetzlich zu verankern. Wünschen wir der aktuellen Empfehlung also viel Erfolg dabei, „kritisch-konstruktiv[er] Offenheit“ (S. 5) gegenüber KI in der Schule in den Reihen der Schulaufsicht und der Träger den Weg zu bereiten.
Zum Autor: Björn Nölte ist für die Schulaufsicht der Ev. Schulstiftung in der EKBO verantwortlich. Zuvor war er am Studienseminar Potsdam als Fach- und Hauptseminarleiter tätig. Er unterrichtete die Fächer Deutsch, Geschichte und Politische Bildung und war Oberstufenkoordinator. Er ist Gründungsmitglied des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur, Berlin.