KI in der Schule und Bildungsgerechtigkeit

Von am 15.12.23

Eigentlich haben wir schon wieder fünf Jahre verschlafen. Einverstanden. Wenn man genauer hinschaut, dann haben wir vier Jahre verschlafen und seit einem Jahr sind wir in Sachen KI im Kontext von Schule nun aktiver. Im November 2018 habe ich an der ersten sogenannten Bundestagung für KI in der Schule teilgenommen. Ein Vortrag hat mich seinerzeit sehr überrascht, weil er jenseits von aller Faszination für das Technische schon weitergedacht hat. In diesem Vortrag sprach der Kollege Detmar Meurers von der Universität Tübingen davon, dass KI die große Chance darstellt, einen großen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit beizutragen. Unabhängig davon, ob z.B. in den Elternhäusern z.B. bei den Englischhausaufgaben geholfen werden kann, können KI-Umgebungen (wie mittlerweile z.B. mit fiete.ai) Feedback geben, Fehlerquellen analysieren und passende, darauf aufbauende Lernangebote individuell bereitstellen. Das war am 30. November 2018. Genau vier Jahre vor der Erstveröffentlichung von ChatGP.

Im Rahmen der KMK-Tagung ‚KI in Bildungsprozessen‘ – also genau fünf Jahre danach -, Ende des Jahres 2023, habe ich diese ‚alte‘ Folie von Herrn Prof. Meurer zum Einstieg in meinen Vortrag zu ‚KI in der Schule und Bildungsgerechtigkeit‘ gezeigt (Eickelmann, 2023). Kernthema meines Vortrages für die KMK und weitere Akteur:innen in der Bildungsadministration war es aufzuzeigen, dass sich mit KI nun ein neuer Digital Divide anbahnt, wenn Schule dem nicht systematisch entgegenwirkt. Dazu habe ich im Rahmen meines Inputs die Digital-Divide-Theorie (u.a. van Deursen & van Dijk, 2015; Drossel, Eickelmann & Vennemann, 2019) auf den Kontext KI übertragen.

Die Digital-Divide-Theorie (u.a. van Deursen & van Dijk, 2015; Drossel, Eickelmann & Vennemann, 2019).
Die Digital-Divide-Theorie (u.a. van Deursen & van Dijk, 2015; Drossel, Eickelmann & Vennemann, 2019).

Hierbei geht es nicht nur um unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten, die sich vor allem vor dem Hintergrund von sozialen Disparitäten ohnehin beim Lernen in der digitalen Welt abzeichnen. Vielmehr geht es, folgt man der Theorie des Digital Divide weiter, nur im ersten Schritt um Unterschiede im materiellen und physischen Zugang zu digitalen Technologien. Hierzu gehören der Besitz und die Zugangsmöglichkeiten für Schüler*innen zu (geeigneten) digitalen Medien und hier nun auch zu KI-Anwendungen zum Lernen, z.B. zu adaptiven Lernmanagementsystemen und intelligenten tutoriellen Systemen, aber auch zu niedrigschwelligen KI-Angeboten. Im zweiten Schritt geht es um Unterschiede in der Nutzungsmotivation von digitalen Technologien, um Einstellungen und Werthaltungen von Schüler*innen gegenüber digitalen Medien und KI, um Nutzungsmotivation, insbesondere zum (schulischen) Lernen. Im dritten Schritt geht es dann um Unterschiede in der Nutzung und in den Erfahrungen im Umgang mit digitalen Technologien; die Häufigkeit und Dauer der Nutzung von KI-Anwendungen beispielsweise sowie die Vielfältigkeit der Nutzungsmuster digitaler Technologien auch unter Berücksichtigung der dynamischen Entwicklungen von KI-Anwendungen. Der vierte Schritt, und vielleicht der Schlüssel zu Bildungserfolg, liegt in den Unterschieden in den benötigten digitalen Kompetenzen. Also den Fähigkeiten der Schüler:innen zur kompetenten und reflektierten Nutzung digitaler Technologien und von KI. Dass wir hier, in Bezug auf die digitalen Kompetenzen, einen erheblichen Digital Divide in Deutschland haben, konnte bereits die ICILS-2018-Studie zeigen (Eickelmann et al., 2019). Nicht auszudenken, wie sich dieser für den Bereich KI entwickelt, wenn Schule nicht notwendigen Lerngelegenheiten anbietet und auch neue digitale Kompetenzen gezielt fördert.

Der Anspruch von Schule muss sein, digitale Technologien für die Gestaltung und Weiterentwicklung schulischer Lehr- und Lernprozesse so zu nutzen, dass diese eine lern- und kompetenzunterstützende Wirkung für alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entfalten. Dazu muss Teilhabe in der digitalen Welt nun auch in den sich neu ergebenden Feldern im Kontext von KI-Anwendungen und -Entwicklungen gezielt durch schulische Bildung gestärkt werden: In Schulen. Und auf der Systemebene. Ansatzpunkte bietet die KMK-Ergänzungsstrategie (KMK, 2021), die deutlich macht, dass Chancengerechtigkeit in der digitalen Welt durch a) neue Prüfungsformate (ebd., S. 14) und b) umfassende Qualifizierung von Lehrkräften und pädagogischem Personal (ebd., S. 14) hergestellt werden kann. Ich selbst würde noch die Qualifizierung von Schulleitungen und von Schulaufsicht dazu nehmen wollen. Letztlich geht es aber auch um die Weiterentwicklung von Rahmenplänen und Curricula zur Beschreibung und Sicherung der kompetenten und reflektierten Nutzung von KI sowie zur Nutzung von KI für das eigene Lernen aller Schüler*innen. Dabei müssen Schulen in ihren KI-bezogenen Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozessen und der Weiterentwicklung des Lehrens und Lernens unterstützen. Die Schüler*innenperspektive ist dabei konsequent mitzudenken und in Entwicklungsprozesse systematisch einzubeziehen.

Die Aufmerksamkeit, die uns ChatGPT für die Nutzung von KI im schulischen Kontext gebracht hat, müssen wir als Akteur:innen in der schulischen Bildung nun nutzen. Für alle Kinder und Jugendliche und damit für uns, orientiert an unseren demokratischen Werten und Normen, als Gesellschaft.

Quellen

Drossel, K., Eickelmann, B. & Vennemann, M. (2019). Digitalisierung und Bildungsgerechtigkeit – die schulische Perspektive. DDS - Die Deutsche Schule, 111(4), 391–404.

Eickelmann, B. (2023). KI in der Schule und Chancengerechtigkeit. Vortrag im Rahmen der KMK-Fachtagung ‚KI in Bildungsprozessen‘. Köln [01.12.2023].

Eickelmann, B., Bos, W., Gerick, J., Goldhammer, F., Schaumburg, H., Schwippert, K., Senkbeil, M. & Vahrenhold, J. (Hrsg.) (2019). ICILS 2018 #Deutschland – Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster: Waxmann.

KMK (2021). Lehren und Lernen in der digitalen Welt, Ergänzung zur Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“, Berlin/ Bonn. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2021/2021_12_09-Lehren-und-Lernen-Digi.pdf

van Deursen, A. & van Dijk, J. (2015). Toward a Multifaceted Model of Internet Access for Understanding Digital Divides: An Empirical Investigation. Information Society, 31(5), 379–391.

Kurzvita

Birgit Eickelmann ist Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn mit den Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten: Entwicklung von Schule, Unterricht und Schulsystemen im digitalen Wandel (www.upb.de/eickelmann).