Joscha, stell dich bitte kurz vor.
Ich bin Mittelschullehrer und Schulentwicklungsmoderator in Mittelfranken. Darüber hinaus bin ich Teil eines sogenannten Innovationsteams für digitale Bildung, unterstütze Schulen bei Prozessen der digitalen Schulentwicklung und halte Fortbildungen zu verschiedensten Themen. Wenn noch Zeit bleibt, schreibe ich gerne auf meinem eigenen Blog oder für pädagogische Magazine.
Warum ist dir Feedback im Unterricht wichtig und hast darüber sogar ein Buch verfasst?
Ich erlebe Feedback-Momente in der Schule auf mehreren Ebenen als unglaublich bereichernd. Das sind zum Beispiel Situationen, in denen Schüler*innen durch meine Rückmeldung etwas neues verstehen und danach selbstständig und besser weiterarbeiten können. Das sind aber auch Momente, in denen ich Feedback einhole und mir zum Beispiel erklären lasse, wie Schüler*innen bestimmte Unterrichtssituationen erleben. Dabei lerne ich aus der Sicht meines Gegenüber. Und gleichzeitig stärkt es unsere Beziehung, weil wir die schulischen Hierarchien außer Kraft gesetzt haben und Respekt und der Wille, sich weiterzuentwickeln, Motor des Dialogs sind.
Im Kern ist Feedback für mich deshalb eine Quelle des Wachstums und der Weiterentwicklung (persönlich und sachbezogen - überall im Leben und natürlich auch in der Schule). Dieses “Beziehungsgeschehen” ist (unter bestimmten Bedingungen) in seiner Wirksamkeit gut belegt. Und gleichzeitig kommt Feedback an vielen Stellen des Schulalltags viel zu kurz, insbesondere dann, wenn man Feedback im Sinne Hatties umfassend, also in verschiedenen Dimensionen und auf mehreren Zeitebenen, nutzen möchte. Dieser Gap zwischen Wissen um die Wirksamkeit von Feedback und der stiefmütterlichen Behandlung im Unterricht war meine Hauptmotivation das Buch zu schreiben. Und dann kam natürlich noch dazu, dass Feedback durch geeignete und effiziente digitale Tools eine Art Push erfahren könnte und ich ja auf diesem Feld ohnehin aktiv bin. Insofern ist die Anfrage des Verlags auf fruchtbaren Boden gestoßen und ich bin froh, dass ich das spannende Thema auf meine Art und mit meinen Schwerpunkten ausrollen konnte.
Wer ist die Zielgruppe für dein Buch?
Mein Buch “Lernförderliches Feedback im Unterricht” richtet sich in erster Linie an Lehrkräfte der Sekundarstufe, die dem Thema Feedback im eigenen Unterricht mehr Raum geben und dabei digitale Möglichkeiten ausschöpfen möchten. Mein Ziel beim Schreiben war es, dass sowohl Einsteiger*innen als auch erfahrene Lehrkräfte neue Ideen und Anregungen erhalten, weshalb ich auch einen erkennbaren Schwerpunkt auf den Einsatz digitaler Tools gelegt habe. Gleichzeitig wird auch grundlegend in den Themenkomplex eingeführt, sodass sich auch Lehramts-Studierende und Referendar*innen angesprochen fühlen dürfen.
Wie löst du derzeit das Problem, trotz knapper Zeitressourcen allen Kindern möglichst oft Feedback zu geben?
Ich denke nicht, dass ich es richtig zufriedenstellend lösen kann und meine auch, dass das zu viel von einzelnen Lehrkräften verlangt ist. Um der Heterogenität unserer Schüler*innen und dem einzelnen Kind wirklich gerecht werden zu können, bräuchte es kleinere Lerngruppen und multiprofessionelle Teams, mit denen wir intensiver beim Lernen begleiten können. Dennoch bemühe ich mich natürlich um Ansätze, die Raum für Feedback und Lernbegleitung ermöglichen.
Im Wesentlichen sind das wohl zwei Säulen. Zum einen versuche ich meinen Unterricht so oft wie möglich aufzubrechen und Lernarrangements vorzubereiten, in denen die Schüler*innen angeleitet, aber selbstständig, arbeiten und lernen können. Dazu nutze ich gerne Portfolios, lasse digitale Lernprodukte erstellen oder arbeite in kleineren oder größeren Einheiten projektartig. Wenn es gelingt, diese Einheiten klar vorzubereiten und einen Sicherheit stiftenden Rahmen zu bauen, bin ich während der Sequenz frei genug, um ausführlich Feedback zu geben.
Zum anderen begreife ich Feedback nicht derart, dass nur ich den Lernenden Feedback geben sollte. Es geht schließlich auch darum, Momente der Reflexion zu initiieren (z. B. mit Formen der Selbstkontrolle oder durch Checklisten) oder kleine Einheiten anzuleiten, in denen sich die Schüler*innen gegenseitig Feedback geben. Dieses Peer-Feedback braucht etwas Übung, kann dann aber ebenso effektiv sein, wie wenn ich eine Rückmeldung formuliere. Und dann kommen noch Aufgaben hinzu, bei denen die Lernenden eine automatisierte Rückmeldung erhalten (z. B. bei digitalen Übungen). Auch diese technischen Möglichkeiten entlasten mich.
Insofern ist es ein bunter Mix aus Ansätzen, mit denen ich versuche, eine Feedback-Kultur im Unterricht aufzubauen und zu pflegen. Natürlich in dem Wissen, dass das wohl nicht genug ist, aber trotzdem in der Hoffnung, das Beste aus den Gegebenheiten zu machen.
Auf welchen Wegen gibst du momentan deinen Schüler:innen Feedback? Welche Feedback-Methoden hast du sonst noch ausprobiert?
Ich schätze Herangehensweisen, bei denen Feedback persönlich gegeben werden kann und glaube auch, dass das den größten Effekt hat. Insofern gebe ich am liebsten Feedback in Form von kurzen Beratungsgesprächen oder leite Peer-Feedback in Meilensteinsitzungen im Unterricht an. In der digitalen Umsetzung bin ich deshalb auch ein Fan von Audio-Feedbacks (z. B. mit HyFee oder mit Qwiqr), bei dem ich eine Sprachnachricht aufnehme und sie über einen QR-Code zur Verfügung stelle. Das ist schnell und effektiv und dennoch persönlich. Darüber hinaus mache ich gute Erfahrungen mit Rückmeldungen, die direkt im jeweiligen Dokument gegeben werden, also z. B. per Kommentar in einer zu erstellenden Präsentationsdatei oder in einem geteilten Text-Dokument.
Was ist der Grund, warum das Feedback-Geben in der Praxis oft nicht gut möglich ist bzw. die Kolleg:innen es nicht systematisch in ihren Unterricht einbinden?
Zunächst möchte ich sagen, dass Feedback auf jeden Fall im Unterricht vorkommt und zwar vermutlich bei allen Lehrkräften und auch bei allen Schüler*innen. Nur handelt sich eben oft um unsystematische Bemerkungen, kurze Korrekturen und Hinweise oder (nur) um summatives Feedback, also Rückmeldungen, die erst am Ende eines Lernprozesses gegeben werden und dann natürlich nicht mehr viel nützen.
Dass Feedback nicht systematischer eingesetzt wird, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass lernförderliches Feedback Zeit, Planung, einen didaktischen Ort und Überlegungen braucht, was aus dem Feedback werden soll. Es macht also Aufwand und der Nutzen ist nicht unbedingt sofort zu erkennen. Insofern bietet der volle Lehrplan natürlich eine gute Ausrede. Vielleicht fehlt aber auch manchmal die Sensibilität für das Thema oder schlicht das Wissen um die empirisch belegte Wirksamkeit. Gerade im Bereich des Unterrichts-Feedbacks halten sich z. B. verschiedene Mythen, etwa, dass Lernende Unterricht nicht einschätzen können oder Feedback an die Lehrkraft missbraucht werden würde. Bei beiden Einschätzungen handelt es sich jedoch um Fehlannahmen.
Was entgegnest du Kolleg:innen, die einwänden: Wann soll ich mich mit all dem noch beschäftigen? Wie soll ich zusätzlich zu den alltäglichen Herausforderungen auch noch eine Feedbackkultur in meinem Unterricht etablieren?
Ich kenne keine Lehrkraft, die sich nicht darüber freuen würde, wenn ihre Schüler*innen besser lernen können, mehr verstehen und dadurch bessere Leistungen erreichen. Davon abgesehen stärkt Feedback auch die Beziehungsebene und schafft neue Möglichkeiten, sich selbst als Lehrkraft weiterzuentwickeln. Insofern ist in Feedback-Prozesse investierte Zeit sinnvoll investierte Zeit. Und es verlangt ja niemand, dass man sofort jeden Unterricht umwirft. Der Aufbau einer lernförderlichen Feedback-Kultur ist ein längerer Prozess und gelingt nicht von heute auf morgen. Letztlich profitieren aber alle davon.
Wie würde ein digitales/automatisches Feedback in deinen Alltag passen? Welche Probleme ließen sich dadurch lösen bzw. welche Probleme entstehen vielleicht auch neu?
Wie beschrieben kann mich automatisiertes Feedback entlasten und eine Ergänzung zu Korrektur und persönlichen Rückmeldungen darstellen. Der didaktische Ort dafür sind z. B. Übungs- oder Selbstlernphasen, aber auch Stationen-Trainings, Wochenplanarbeit oder Lerntheken. Diese Materialien müssen aber natürlich auch erstellt werden (idealerweise nicht von jedem wieder und wieder allein) und digitale Übungen sind auch nicht zwingend ein Selbstläufer. Wie überall ist auch hier die inhaltliche Qualität, die Passung zu meiner Lerngruppe, die Formulierung von Fragen etc. ausschlaggebend.
Die Rolle von KI für Feedback-Prozesse streifst du in deinem Buch nur am Rande. An einer Stelle kommst du zu dem Fazit, dass KI Tools nur einen “Randbereich” (S. 52) in Bezug auf ein lernförderliches und umfassendes Feedback abdecken. Wie schätzt du die Bedeutung der künstlichen Intelligenz für Feedback zukünftig ein?
Die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz ist sicher das wichtigste Thema für eine überarbeitete Auflage des Buches, sofern es eine geben wird. Ich schätze es derzeit so ein: KI wird bei der automatisierten Kontrolle von Aufgaben und beim Formulieren von Tipps schon bald in verschiedenster adaptiver Lernsoftware zum Standard gehören. Das ist zu begrüßen und wenig problematisch.
Etwas schwieriger ist es bei den generativen KI-Tools wie ChatGPT oder Bing. Diese Systeme können je nach Alter der Lernenden sinnvoll als Feedback-Tools genutzt werden, da sie als ständige Lernassistenz zur Verfügung stehen. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass es sich dabei um eine Ergänzung zu sonstigen Feedbackformen handeln sollte und in vielen Fällen auch eine Begleitung sinnvoll ist - zumindest für den Anfang. Hierbei sind die Rückmeldungen der Software dann doch oft zu allgemein und Korrekturen nicht immer richtig. Gleichzeitig lassen sich diese Erfahrungen aber natürlich auch problematisieren (Welches Feedback bringt mir eigentlich etwas? Welche Rolle spielen dabei z. B. persönliche Beziehungen? usw.). Lehrer*innen-Feedback also komplett durch ChatGPT oder auch durch PEER von der TU München zu ersetzen, halte ich nicht für zielführend - große Potenziale hat diese Technologie aber ohne Zweifel.
Ich denke aber auch, dass diese Systeme schnell besser werden und/oder Software auf den Markt kommen wird, die mit vorgefertigten Mega-Prompt-Masken sicherstellt, dass das Feedback durch die KI konstruktiv, kriterienorientiert und zielgerichtet ist. In diese Richtung geht ja auch euer Projekt Fiete, dessen Ansatz ich ausgesprochen spannend und zielführend finde.
Wie kann man als Lehrkraft anfangen, wenn man sich mit dem Thema Feedback zum ersten Mal beschäftigt und noch keine großen Erfahrungen gesammelt hat?
In meinem Buch habe ich lernförderliches digitales Feedback folgendermaßen systematisiert. Bestimmte Ansätze sind geeignet, um ein schnelles Feedback aus der Lerngruppe einzuholen, andere eignen sich für die automatisierte Kontrolle von Aufgaben. Dann gibt es Tools, die sich besonders für Peer-Feedback eignen, andere wiederum für Lehrer*innen-Feedback. Und zu guter Letzt gibt es Instrumente, mit denen ich als Lehrkraft meinen Unterricht zielführend evaluieren kann und natürlich gibt es auch Schnittmengen.
Für den Anfang würde ich empfehlen, mit einzelnen Elementen anzufangen und diese im Rahmen der Sequenzplanung didaktisch zu verorten. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass mit der Oncoo-Zielscheibe am Ende einer Einführungsstunde abgefragt wird, wie gut der Lernstoff verstanden wurde. In einer anderen Sequenz können LearningApps in Übungsphasen eingesetzt werden, um eine automatische Kontrolle der Aufgaben zu ermöglichen. Und wieder an einer anderen Stelle kann ausprobiert werden, wie sich Audio-Feedback eignet, um Schüler*innen eine Rückmeldung zu einem Textentwurf zu geben. Wichtig ist, sich nicht zu viel vorzunehmen und sich (ohne Druck und erst recht ohne Angst) Stück für Stück vorzuarbeiten.
Und dann sollten Lehrkräfte ihre Erfahrungen mit ihren Schüler*innen teilen und diese auch um deren Einschätzung bitten. Letztlich geht es ja genau darum: Durch Feedback in einen Dialog über Lernen einzutreten.
Was würdest du selber sagen: Welches sind die wichtigsten Key-Takeaways deines Buches?
Es geht im Kern darum, ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche immense Bedeutung Feedback für Lehr- und Lernprozesse hat. Dazu wünsche ich mir, dass sich Lehrkräfte ermutigt fühlen, Feedback nach der Lektüre meines Buches systematischer und in einem umfassenden Sinne einzusetzen. Hinzu kommt der Mut, sich zu trauen, die Potenziale digitaler Tools zu nutzen. Und dann wäre es natürlich toll, wenn Leser*innen tatsächlich auch den Vorsatz fassen, mit bestimmten Elementen im eigenen Unterricht zu starten und/oder Ideen aus dem Buch nachmachen. Das würde mich sehr freuen.
Vielen Dank für das Gespräch!