Die Ständige Wissenschaftliche Kommission legt am 17.01.2024 das Impulspapier „Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem“ vor. Das unabhängige Beratergremium der Kultusministerkonferenz fasst auf etwa 32 Seiten die fachliche Diskussion in Wissenschaft und Praxis der vergangenen 14 Monate seit Erscheinen von ChatGPT zusammen und formuliert Handlungsaufforderungen an die Bildungspolitik.
Also, was steht in dem Impulspapier? Es folgt eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Empfehlungen und eine kommentierende Einordnung.
Gefordert wird…
- eine systematische Erprobung: Eine Übergangsphase für die „systematische Erprobung von LLM bei offener Fehlerkultur“ im Bildungsbereich wird empfohlen, um deren Potenziale zu erkunden.
- die Entwicklung domänenspezifischer Tools: Es wird die Entwicklung von spezifischen LLM-Tools, die auf qualitativ hochwertige, fachspezifische Daten trainiert sind, vorgeschlagen.
- der Einsatz ab der Sekundarstufe: Die Empfehlung lautet, LLM ab der Sekundarstufe I zunehmend im Unterricht einzusetzen, während in früheren Bildungsetappen ein Fokus auf grundlegende Kompetenzen liegt.
- die Veränderung der Prüfungskultur: Das Papier schlägt vor, Prüfungsformate zu entwickeln, die die Nutzung von LLM berücksichtigen und/oder prozessorientiert sind. Des Weiteren werden hilfsmittelfreie Prüfungsteile vorgeschlagen.
- die Schaffung von Rahmenbedingungen: Lernenden und Lehrenden benötigen einen (kostengünstigen oder kostenfreien) Zugang zu LLM zum Beispiel über Landeslizenzen.
- die Integration in Lernplattformen: Die SWK spricht sich für die Integration von LLM in Lernplattformen aus und empfiehlt die Entwicklung von Commons-Lösungen, auch um ethische und rechtliche Probleme zu adressieren.
Hier geht`s zum vollständigen Impulspapier.
Wer die Diskussion um KI in Schule und Hochschule im letzten Jahr aktiv verfolgt hat, für den hält das Impulspapier wenig Überraschendes bereit. Ist es deswegen eine Enttäuschung? Nein. Denn die Handlungsempfehlungen sind erstens sinnvoll und zweitens in der Bildungsadministration kein Konsens.
So haben alle Bundesländer unisono in ihren sehr zügig erschienen Leitfäden für Lehrkräfte im Jahr 2023 sich für ein Lernen mit KI ausgesprochen, aber die wenigsten Länder bieten bisher datenschutzkonforme Zugänge zu LLM an – für Lehrkräfte nicht und aus Datenschutzbedenken erstrecht nicht für Schüler:innen. Dieses Abwarten verhindert natürlich eine systematische Erprobung. Mehr Tempo beim Thema Landeslizenzen und eine offene Fehlerkultur wären daher wünschenswert.
Landeslizenzen könnten der erste Schritt für eine systematische Erprobung und wissenschaftliche Begleitung sein. Denn ob der Einsatz von LLM im Unterricht lernförderlich ist, muss sich noch zeigen müssen. Diese wissenschaftliche Begleitforschung wird von der SWK explizit eingefordert.
Die Entwicklung domänenspezifischer Tools kommt ebenfalls nur langsam voran, weil fachspezifische Daten und feingetunte Modelle fehlen. Die Hoffnung besteht allerdings, dass sich in diesem Bereich 2024 etwas tun wird. Aber auch hier gilt, dass Datenschutzbedenken einer schnellen Entwicklung entgegenstehen.
Die Altersstaffelung, welche die SWK vorschlägt, spiegelt die Handlungsempfehlungen der Bundesländer wider: kein Einsatz von LLM in der Grundschule, angeleitetes Erkunden in der frühen Sekundarstufe I und eine regelmäßige Nutzung ab der Jahrgangsstufe 8. Es bleibt abzuwarten, ob diese Alterseinordnung auch für domänenspezifische Tools gelten, die ggf. LLM im Hintergrund nutzen und auch in der Grundschule hilfreich sein könnten.
Die Ausführungen zur Prüfungskultur haben mich positiv überrascht: Die SWK nutzt an verschiedenen Stellen im Impulspapier den Begriff „Koaktivität“, auch in Bezug auf Klassenarbeiten und Klausuren. Hybride Texte und neue (Prompt-)Kompetenzen werden die neue Normalität, auch in Prüfungen. KI freie Prüfungsteile zur Ermittlung von Basiskompetenzen kombiniert mit KI-basierten Prüfungsteilen ist eine für alle gewinnbringende, zeitgemäße Kombination.
Den Vorschlag der SWK, LLM in geeignete Lernplattformen zu integrieren oder Commons-Alternativen zu entwickeln, halte ich für notwendig. Open source Lösungen könnten hier eine wichtige Rolle spielen, um mehr Transparenz, Rechtssicherheit und ethische Fragen zu adressieren.
Es darf nicht bei einem Impulspapier bleiben. Die Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz sind atemberaubend. Wenn es etwas gibt, was mir bei dem Papier gefehlt hat, dann genau das, was Prof:in Doris Wessels bereits vor Monaten gefordert hat: Die Einrichtung einer ständig tagenden KI Taskforce bestehend aus Praktiker:innen und Forschenden, welche die Arbeit der SWK auf dem Gebiet der KI verstetigt. Das Impulspapier muss nun zum Anlass genommen werden, um schnell ins Handeln und Umsetzen zu gelangen, damit nicht das passiert, was bei der Digitalisierung in Schulen passiert ist - dass wir wieder den Anschluss verlieren.