Einleitung
Die Lernwirksamkeit von formativem Assessment ist lange bekannt. Trotzdem fristet diese didaktische Wunderwaffe hierzulande noch immer ein Schattendasein. Das hat seinen Grund vor allem in der Dominanz seines mächtigen Gegenbegriffs, des summativen Assessments, das so allgegenwärtig ist und unsere Vorstellung von Schule so maßgeblich prägt, dass kaum Platz für formatives Assessment bleibt. Neuerdings erhält die Diskussion durch die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Schule neuen Aufwind, verheißen doch maschinelle Anwendungen nicht nur passgenaue Lernhinweise, sondern auch Arbeitserleichterungen für Lehrkräfte.
Das Wesen des summativen Assessments
Das summative Assessment ist vielen von uns aus dem Schulalltag bekannt. Es handelt sich um eine abschließende Bewertung, oft in Form einer Prüfung oder Klausur, die am Ende eines Lernabschnitts stattfindet. Es gibt den Lernenden und den Lehrkräften Informationen darüber, was am Ende eines Lernzyklus erreicht wurde. Damit ist es ein Rückblick auf das, was gelernt wurde, und dient als Grundlage für Noten und Zeugnisse.
Das dynamische formative Assessment
Im Gegensatz dazu steht das formative Assessment, das während des gesamten Lernprozesses stattfinden kann. Es ist wie ein ständiger Begleiter, der den Lernenden hilft, ihren Weg zu finden und sich kontinuierlich zu verbessern. Es bietet regelmäßige Checkpoints und ermöglicht Anpassungen in Echtzeit. Es ist weniger ein Urteil als vielmehr eine unterstützende Hand, die den Lernenden zeigt, wo sie stehen und wie sie sich weiterentwickeln können. Dahinter steht eine andere Ausrichtung der Lehrkräfte. Die “summative Lehrkraft” hat im Kopf, dass es am Ende einer Lernperiode eine Normalverteilungskurve gibt, an der ablesbar ist, in welchem Ausmaß Lernende mit den Herausforderungen gut zurechtkamen oder daran scheiterten, damit eine begründete Selektion und Allokation stattfinden kann: in Richtung weiterer Bildungseinrichtungen oder in die Arbeitswelt. Die “formative Lehrkraft” hat keine abschließende Bewertung als Hauptziel im Kopf, sondern möchte möglichst allen Lernenden in ihrer Lerngruppe dazu verhelfen, an Inhalten möglichst optimal zu lernen, sodass am Ende keine Normalverteilungskurve steht, sondern eine Gruppe von individuellen Wegen zum Lernerfolg. Nun gibt es selbstverständlich keine “formativen” und “summativen” Lehrkräfte, sondern immer Mischungen und Abstufungen. Und auch im formativ geprägten Unterricht kann es am Ende des Halbjahres große Unterschiede in den erreichten Kompetenzen und der Ausprägung gezeigter Leistung geben. Unterschiedliche Voraussetzungen, differierende Motivationslagen und ungleiche Fähigkeiten, Feedback für den eigenen Lernprozess zu nutzen, führen dazu. Feedback ist das entscheidende Instrument im formativ geprägten Unterricht (vgl. dazu auch das Interview mit Joscha Falck in diesem Blog).
Feedback: Mehr als nur Worte
Feedback kann in verschiedenen Formen gegeben werden. Es kann verbal sein, schriftlich oder auch visuell. Es gibt drei Hauptkategorien von Feedback im formativen Assessment:
- Feed-Back: Ein Rückblick auf das, was bisher erreicht wurde.
- Feed-Up: Ein Vergleich des aktuellen Standes mit dem Endziel.
- Feed-Forward: Ein Ausblick darauf, welche Schritte als nächstes unternommen werden sollten (besonders lernförderlich).
Die Rolle der Technologie im Feedback-Prozess
In unserer digitalen Ära bieten Technologien neue und anregende Möglichkeiten, den Feedback-Prozess zu verbessern. Digitale Anwendungen wie Google Docs, Padlet und Miro ermöglichen kollaboratives Arbeiten und Echtzeit-Feedback. KI-Systeme wie ChatGPT können personalisiertes und zielgerichtetes Feedback bieten, das auf den individuellen Bedürfnissen des Lernenden basiert. Ein großer Vorteil des maschinellen Feedback kann auch darin bestehen, ohne Ansehen der Person Feedback in Wiederholung oder Variation zu formulieren, bis es die Lernenden wirklich erreicht hat. Auf der anderen Seite kann genau darin auch der größte Nachteil entstehen. Kenntnisse über die Individuen können entscheidend sein, um die richtige Art, den richtigen Umfang, Zeitpunkt etc. zu wählen, um das Feedback annehmbar zu machen. Insofern ist auch beim Einsatz maschineller Systeme die begleitende Lehrkraft unverzichtbar und die Hinführung zu eigenverantwortlich reflektiertem Einsatz von Feedback zentral.
Neue Chancen maschineller Systeme
Werden Chatbots wie ChatGPT aktuell für formatives Feedback verwendet, erhält man bereits hilfreiche Ergebnisse, die jedoch noch eines gewissen Aufwandes durch die Lehrkraft bedürfen. Beispielsweise können Mustertexte für bestimmte Aufgabenformate durch die Lehrkraft erstellt werden, die dann eingesetzt werden, um Kriterien zum Formulieren für Feedback ermitteln zu lassen. In einem nächsten Schritt kann der Entwurf eines Schülertextes eingegeben werden, um dazu Feedback und Feed-Forward zu erhalten. Resultate dieses Verfahrens sind sehr vielversprechend, auch der Umfang der Hinweise kann reguliert werden, um Überarbeitungen überschaubar zu halten. Sollten die Formulierungen des Chatbots für die Lernende nicht verständlich sein, kann nachgefragt, umformuliert oder wiederholt werden. Auch Priorisierungen sind möglich, Prompts können von vornherein oder im Nachhinein bestimmte Aspekte fokussieren. Für Systeme wie fiete liegen hier große Potenziale, die beschriebenen Vorgänge effizienter zu gestalten, nach Möglichkeit auch in einer Umgebung, die weniger Ängste bezüglich der Datensicherheit erzeugen.
Gefahren und Irrwege
Die Implementierung maschineller Systeme in den Prozess des formativen Assessments sollte stets von der Reflexion mit den Lernenden begleitet werden. Denn entscheidend wird zukünftig die Fähigkeit der Lernenden sein, Ergebnisse oder Beiträge der KI zu bewerten: Ist diese Information glaubwürdig, wahrhaft, welche nächsten Schritten kann ich gehen, wie sollte ich mich entscheiden, wie wird das Antwortverhalten des Chatbots bereits durch die Art meiner Frage beeinflusst? Die Technik kann im besten Fall mit individuell sinnvollen Hilfen Lernprozesse unterstützen. Eine Gefahr besteht darin, dass personalisiertes Lernen als neue Standardisierung missverstanden wird. Wenn im Sinne von digitalen Lückentexten Lernende mithilfe der KI zu vorgedachten Ergebnissen gebracht werden sollen, wird das Potenzial dieser Technologie nicht ausgeschöpft. Vielmehr sollten Lernende ihre Fähigkeiten in möglichst wenig vorgedachten Formen ausprägen können. Hier zeigt sich, dass LLM (large language models) vor allem auf sprachliche Fähigkeiten orientiert sind und in naturwissenschaftlichen oder mathematischen Kompetenzen dann Anwendung finden können, wenn eine Formulierung der Lerninhalte in Textgestalt erfolgt.
Feedbackkultur in der Praxis
Feedback ist nicht nur für Schüler wichtig. Lehrkräfte können ebenfalls von regelmäßigem und konstruktivem Feedback profitieren, sei es von Kollegen, Schulleitungen oder von den Schülern selbst. Ein gut implementiertes Feedback-System kann dazu beitragen, eine positive Lernkultur zu schaffen, in der alle Beteiligten sich unterstützt und wertgeschätzt fühlen, sodass auch die formativen Prozesse die Lernprozesse optimal befördern. Das Lernklima der ganzen Schule gerät aktuell durch die empirische Bildungsforschung verstärkt in den Fokus lernförderlicher Praxis. Insofern sollte nicht nur die einzelne technische Anwendung, der formative Prozess einer Klasse oder bei einer Lehrkraft, sondern eine schulweite Vorstellung der Bedeutung von Feedback die Schulentwicklung mitbestimmen.
Schlussbetrachtung
Feedback ist ein unverzichtbares Instrument im Bildungsbereich. Es bietet den Lernenden die Möglichkeit, sich kontinuierlich zu verbessern, und gibt den Lehrkräften wertvolle Einblicke in den Lernprozess ihrer Schüler. Mit der richtigen Herangehensweise und den richtigen Tools kann Feedback den Bildungsprozess erheblich bereichern und zu besseren Lernergebnissen führen. Technische Systeme bieten aktuell ein besonders hohes Potenzial in diesem Bereich, und zwar aus drei Gründen: Sie können individuelles Lernen unterstützen, bieten Chance und Notwendigkeit zu mündiger Eigenverantwortung und können Lehrkräfte entlasten.