Feedback im Projektunterricht

Von am 19.01.24

Hier im Silicon Valley ist Scheitern eine Gelingensbedingung, sie ist zentral für den Erfolg von Startups. Die Startups in der Region holen sich ständig Feedback von potenziellen Kunden ein und das bereits vor der Produktentwicklung, um nicht Zeit und Geld in eine Lösung zu investieren, die keiner braucht. Dadurch werden Ideen von Anfang an in zahlreichen Iterationszyklen verbessert, oder manchmal durch einen “Pivot” der Kurs gänzlich geändert.

Dies lässt sich auch auf den Lernprozess unserer Schüler*innen übertragen: Summatives Feedback am Ende von Projektunterricht ist nicht lernförderlich und ebenfalls eine Ressourcenverschwendung. Die Schüler*innen bekommen dadurch keine Gelegenheit, sich mit möglichen Defiziten ihrer Produkte oder anderen Lösunsgmöglichkeiten früh auseinanderzusetzen und daraus zu lernen. Wir greifen diese positive Fehlerkultur (“Fail Early and Often”) in der German International School of Silicon Valley auf, indem wir in unsere zeitgemäßen Prüfungsformate, die wir Complex Assignments nennen, formative Feedbackschleifen einbauen, die es unseren Schüler*innen ermöglicht, schnell den Kurs anzupassen und das Ziel besser zu erreichen.

Das möchten wir anhand unseres KI Startup Projektes verdeutlichen, für das wir letzes Jahr den ersten Preis im Auslandschulwettbewerb erhalten haben. Das Ziel des Projektes ist eine KI Startup Idee zu entwickeln, mit dem ein konkretes und aktuelles Problem gelöst wird. Der Ansatz ist interdisziplinär, drei Fächer sind beteiligt. Die Schüler*innen lernen in Wirtschaft die Details zu effektiver Unternehmensgründung, im Fach Ethik die ethischen Probleme zu antizipieren und im Fach Informatik erwerben sie die Grundkenntnisse in Machine Learning.

Das Projekt wird seit sechs Jahren durchgeführt und wurde kontinuierlich weiterentwickelt, und zwar maßgeblich durch das Feedback von unseren Schüler*innen. Viel zu oft scheuen sich Lehrer*innen offen über die eigenen Unterrichtsplanung und mögliche Fehler mit den Schüler*innen ins Gespräch zu kommen. Dafür bedarf es zunächst eines Gefühles von Sicherheit und Vertrauen zwischen Lehrer*innen und Schülern*innen. Jedes Jahr haben wir Probleme offen zusammen angesprochen und zusammen Lösungen gefunden. Die Lernenden haben z.B. das Problem angesprochen, dass sie in dieses Projekt neben ihrem regulären Unterricht nicht voll eintauchen konnten und sich immer wieder neu einarbeiten mussten. Aufgrund dessen haben wir nun eine Projektwoche eingeführt und geben den anderen Kolleg*innen die Stunden in den Folgewochen zurück. Das Projekt ist auch jetzt noch nicht perfekt, wird aber mit jedem Durchlauf besser. Ein Vorteil von zeitgemäßen Prüfungsformaten ist, dass sie jedes Jahr wieder eingesetzt und weiterentwickelt werden können, und unsere Schüler*innen sind zur Steigerung der Qualität von zeitgemäßen Prüfungsformaten unverzichtbar.

In dem KI-Projekt spielt formatives Feedback eine zentrale Rolle für Schüler*innen. Sie werden in ihrem Ideenfindungsprozess von uns als Lernbegleiter*innen eng betreut. In so genannten “Standups”, kurzen Treffen, die traditionell im Stehen durchgeführt werden, bekommen die Lehrer*innen einen kurzen Überblick darüber, an was die Schüler*innen gearbeitet haben, welche Herausforderungen aufgekommen sind und welche Ziele sich die Schüler*innen selbst setzen. Die Lernbegleiter*innen können die Schüler*innen im Prozess unterstützen und ihnen bei Herausforderungen helfen.

Durch Design Thinking werden die Schüler*innen darin unterstützt, über ihre Lösungen aus der Sicht der von dem Problem Betroffenen zu denken (human-centered design). Im besten Falle arbeiten die Schüler an einem Problem, das anderen Schüler*innen betrifft, und können diese in den Schulpausen zu ihren Lösungsansätzen befragen. Dieses Jahr möchten wir in diesem Schritt zusätzlich KI nutzen. Der KI wird die Persona beschrieben, die die Rolle des Feedbackgebers zu den ersten Lösungsansätzen übernimmt. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass bereits in der ersten Brainstorming Phase alle Gruppen ein Feedback erhalten, dass es ermöglicht, Lösungen nicht weiter zu verfolgen, die nicht zielführend sind. Dadurch werden zeitliche Ressourcen frei, um bessere Lösungsansätze weiterzuentwickeln.

Zudem wird Peer-Feedback eingesetzt. Schüler*innen, die das Projekt in den Vorjahren durchgeführt haben, geben in Kleingruppen den jeweiligen Startup Teams ungefährt in der MItte der Projektzeit Feedback und brainstormen zusammen, wie die Lösungen verbessert werden können. Durch diese zahlreichen Iterationsschleifen ist es den Schüler*innen möglich, in sehr kurzer Zeit eindrucksvolle Ergebnisse zu erzielen, die in einem anderen Setting viel mehr Zeit in Anspruch genommen hätten oder diese Qualität gar nicht erreicht hätten.

Formatives Feedback ist eine zentrale Gelingensbedingung für den Lernprozess und das Leben unserer Schüler*innen. Schüler*innen sollten lernen Feedback anzunehmen und einzufordern. Für uns als Lehrkräfte ist der Einsatz von KI eine enorme Bereicherung, denn dadurch haben die Lernenden ständigen Zugang zu  Feedbackschleifen auch wenn die Lehrkraft oder Peers nicht verfügbar sind. So können mehr Schüler*innen durch formatives Feedback unterstützt werden.

Die Schüler*innen wiederum lernen, dass ein Produkt nicht beim ersten Aufschlag fertig ist oder sein muss. Sie setzen sich mit ihrer Arbeit intensiv auseinander, lernen aus ihren ersten Fehlern, üben sich in Frustrationstoleranz und nehmen Beratung in Anspruch. Den Schmerz, etwas zu löschen, was viele Stunden Arbeit gekostet hat, können wir alle nachvollziehen, aber das Üben darin hilft, in der Zukunft einer sunk cost fallacy zu widerstehen. Diese Kompetenzen sind darüber hinaus wertvoll, um kritisches Denken und ein Growth Mindset zu entwickeln. In Zeiten, in denen Antworten einer KI schnell als absolute Wahrheit hingenommen werden anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie zur Weiterentwicklung einer eigenen Idee zu nutzen, sind solche Kompetenzen entscheidend wichtig.

Weitere Informationen über das Projekt

DIHK Competition for Schools Abroad - 1st Place for GISSV

Deeper Learning @ GISSV - German International School of Silicon Valley

Kurzvita

Martin Lentzen ist seit 2016 als Auslandsdienstlehrkraft an der German International School of Silicon Valley. Er koordiniert dort die digitale Unterrichtsentwicklung und ist als Fortbildner und Referent tätig.

Jenny Jungeblut ist stellvertretende Schulleiterin an der German International School of Silicon Valley und hat durch ihre Arbeit in amerikanischen Akkreditierungs-Teams die innovative Arbeit zahlreicher kalifornischer Schulen kennengelernt.